Die Nuggis waren im Nu weg. Und sie wurden sogar schwarz gehandelt. Die Rede ist allerdings nicht von Schnullern an sich, sondern von den Konzertkarten für Babys. Doch der Reihe nach: Kinderkonzerte für die Grösseren bietet das Zürcher Kammerorchester (ZKO) schon lange an. Der ehemalige Chefdirigent Howard Griffiths erkannte diese Chance früh: Er warf sich mit Leidenschaft und kommunikativem Geschick für die jungen Zuhörer in die Bresche. Der Nachteil: Kinder unter fünf Jahren blieben ausgeschlossen. Da reifte in Michael Bühler, Geschäftsführer des ZKO, die Idee, ein neues Konzertformat für Eltern zusammen mit ihren Säuglingen zu erschaffen. Der Erfolg war überwältigend: «Unsere Nuggikonzerte waren im Nu ausverkauft, wir setzten kurzfristig zwei Extrakonzerte an – mit dem gleichen Ergebnis», erinnert sich Bühler. «Es geschah wohl zum ersten Mal in der Geschichte des Orchesters, dass unsere Tickets auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurden.»
So kam eines nach dem anderen: Die begeisterten Besucher der Säuglingskonzerte fragten besorgt, welches Konzert sie denn im Jahr darauf mit ihren dem Nuggi entwachsenen Sprösslingen besuchen könnten. Deshalb wurden die Krabbelkonzerte ins Leben gerufen für Kinder von eins bis drei Jahren. Dann die Purzelkonzerte für Kinder von drei bis fünf – immer zusammen mit ihren Eltern natürlich. Die Lücke war geschlossen bis zu den Kinderkonzerten, die den Schritt über die Schwelle zum «richtigen» Konzertsaal mit sich bringen. Die Konzerte für das Vorschulalter finden nämlich im ZKO-eigenen Haus beim Zürcher Tiefenbrunnen statt.
Inzwischen wurde eine weitere Zwischenstufe eingeschoben, um Kinder von fünf bis sieben Jahren speziell und direkt anzusprechen. Sogar für die Ungeborenen erprobte das Ensemble schon «Ultraschallkonzerte», ist aber davon abgekommen, weil die Zeit der Schwangerschaft für die werdenden Mütter ohnehin mit vielen Veränderungen befrachtet ist und die Zielgruppe zu eingeschränkt war.
Geschichte als Basis
Die Nuggikonzerte bieten Eltern und Säuglingen auf Matten und Kissen vor allem Harmonie und Entspannung. Bei den Purzel- und Krabbelkonzerten ist die Basis immer eine Geschichte. Klassische Musik eignet sich gut, um Stimmungen zu unterstützen oder Figuren zu charakterisieren. Wichtig ist für Michael Bühler die Nähe zu den Musikern: «Im ZKO-Haus sitzen die Kinder zwei Meter von der Cellistin entfernt; sie erleben die Gestik und Energie des Musizierens hautnah.» Natürlich ist es nicht mäuschenstill wie beim Mozart-Adagio in der Tonhalle. Da wird gekrabbelt, getanzt, auch mal gerufen oder geschrien. Das gehört zum Konzept. Ein Monster kann Angst machen, ein Kind beginnt zu weinen und steckt andere an.
Alte wie Neue Musik
Unproblematisch sind die Kinder beim Repertoire. «Am Anfang dachten wir, Schostakowitsch zum Beispiel wäre unmöglich in diesen Formaten», erzählt Michael Bühler. «Aber das Gegenteil stimmt. Die Kinder kennen keine Etiketten. Neue Musik hat auch oft einen theatralischen Aspekt, da ist etwas los, es ist schräg und witzig.» In der Regel spielen fünf bis sechs Musiker. Basis sind die Streicher, ergänzt oft mit einem Blasinstrument und Klavier. Sehr effektvoll ist immer das Schlagzeug. Zusammen mit den Erzählern und Erzählerinnen suchen die Musiker die Stücke aus. «Nicht alle machen solche Programme gleich gerne, aber es wird niemand zum Krabbelkonzert verknurrt», sagt Bühler. «So ein Konzept funktioniert nur, wenn die Musiker Begeisterung ausstrahlen.»
Aktuell versucht das ZKO, die Lücke zwischen Jugendlichen und dem erwachsenen Abonnenten-Publikum zu schliessen: «Die Pubertät ist ein natürlicher Riegel», sagt Bühler, «da verlieren wir 95 Prozent der Kinderkonzerte-Besucher.» Ein Pilotprojekt mit einer fünften Schulklasse brachte überraschende Erkenntnisse: «Die Schüler konnten ihr eigenes Konzert gestalten. Es war während der Fussball-WM. Das haben sie eingebaut, indem sie das Orchester verschiedene Nationalhymnen spielen liessen, die das Publikum erraten sollte. Interaktion scheint ihnen wichtig zu sein.»
Konzert als Ereignis
Das Verhalten der jüngeren Besucher hat sich geändert: Die Multitasking-Generation sei nicht mehr gewohnt, sich für 45 Minuten ausschliesslich auf eine Quelle zu konzentrieren. «Wir müssen uns anpassen und eine Form schaffen, in der klassische Musik, die ja auf Resonanz stösst, als Konzert-Ereignis akzeptiert wird», sagt Michael Bühler. «Wir werden deshalb in Zukunft die Aufmerksamkeitsspanne reduzieren und dazwischen Räume für soziale Interaktionen schaffen.»
ZKO-Konzerte für junge Ohren
Nuggikonzerte
So, 22.3., 14.00/16.00 ZKO-Haus Zürich
Purzelkonzert
«Room On The Broom» (englisch)
Sa, 28.3., 11.00 ZKO-Haus Zürich
Purzelkonzert «Für Hund und Katz ist auch noch Platz»
So, 29.3., 11.00/14.00/16.00 ZKO-Haus Zürich
Infos unter: www.zko.ch