Als sich der Mann vom Nachbartisch zum ersten Mal ungefragt ins Gespräch einklinkt, lacht Katja Brunner noch. Die Dramatikerin sitzt auf der Terrasse eines Cafés am Idaplatz in Zürich. Die Laubbäume plustern sich in der Bise auf. Brunners Hände verlassen die Taschen ihrer blauen Daunenjacke nur, um nach der Kaffeetasse zu greifen, oder eine Zigarette anzuzünden. Gerade erzählt sie von ihren Recherchen, als sich der Herr erneut einmischt. «Ich höre auch nicht deinen Gesprächen zu und bewerte, was du sagst» – Katja Brunners Ärger wird wieder verfliegen. Doch man könnte den Vorfall als Bestätigung werten für die Notwendigkeit ihres Schaffens: Die 28-Jährige hinterfragt in ihren Theatertexten Machtstrukturen. Und als Mitglied des Autorinnen-Kollektivs Rauf analysiert sie die teilweise einseitige mediale Berichterstattung über Schriftstellerinnen.
Für die diesjährigen Solothurner Literaturtage gestalten Rauf die Sonderausgabe der Fabrikzeitung. Das Thema: «Alte Meisterinnen». Die Autorinnen schreiben über in Vergessenheit geratene Schriftstellerinnen; Brunner nimmt sich Annette von Droste-Hülshoff an. Dabei geht es nicht darum, einfach Lobeshymnen zu schreiben. «Uns war Ambivalenz sehr wichtig», sagt sie, «wir wollen diesen Frauen einen Platz im Kanon einräumen. Gleichzeitig sind wir ihnen nicht auf Gedeih und Verderben verbunden, weil sie schreibende Frauen sind.»
Mit wuchtiger Sprache gegen die Macht
Katja Brunner schreibt gegen vereinfachte Erzählweisen an, seit sie in ihrem Debüt «Von den Beinen zu kurz» die üblichen Narrative rund um sexuellen Missbrauch demontierte. Mit 22 Jahren erhielt sie dafür den renommierten Mühlheimer Dramatikerpreis. Seither nahm sie sich fixen Geschlechterbildern an, dem Älterwerden, dem allzu sauberen Schweizer Heimatbild. Denn Narrative sind immer auch Machtinstrumente, sagt Brunner, sie sprechen den einen Menschen Freiheiten zu und den anderen ab. «Aber die Sprache, mit der diese Macht ausgeübt wird, kann man aufrauen, um solche Erzählungen sichtbar zu machen.» Als «sprachskeptisch» bezeichnet sie ihr Schaffen. Tatsächlich zeichnen sich ihre Texte durch eine bisweilen überwältigende Dichte aus; durch eine Ambivalenz, die wie ein Mittelfinger wirkt gegen bequeme Deutungen. Welche Wucht ihre Sprache hat, wird Katja Brunner an den Solothurner Literaturtagen auch live zeigen. Zusammen mit der Pianistin Sophie Aeberli tritt sie als Duo Loretta Shapiro auf.
Am Idaplatz ist der Tisch nebenan mittlerweile leer. «Unser Freund da hätte sicherlich auch eine Meinung dazu gehabt», witzelt Katja Brunner einmal noch. Das Gespräch dreht sich da gerade um eine Frau aus dem Theaterbetrieb.
Literarische Auftritte
Alte Meisterinnen
Fr, 31.5., 21.30
Sa, 1.6., 20.00
Landhaus Solothurn
Loretta Shapiro
Sa, 1.6., 16.00
Kino am Uferbau Solothurn
Katja Brunners Kulturtipps:
Buch
Silvia Federici: Hexenjagd
(Unrast Verlag 2019)
«Pflichtlektüre, finde ich! Der Zusammenhang zwischen Hexenverbrennungen und dem Entstehen unseres Kapitalismus? Nachzulesen hier!»
Film
Hirokazu Koreeda: Shoplifters (Japan 2018)
«War für mich eine berührende Hinterfragung von Familie als Blutsverwandtschaft.»
Serie
Lisa McGee: Derry Girls (Netflix)
«Witzige Sitcom, die in Nordirland spielt, grossmäulige Teenies, Imponderabilien des Kriegs und Tauziehen mit den Hormonen.»