Der Schauspieler Kaspar Locher kommt grad vom Nachtzug. In Wien hatte er noch Proben am Volkstheater gehabt, jetzt steigt er unverdrossen aufs hohe Gerüst, das in Kreuzlingen hart am Ufer des Bodensees montiert ist. Seine Rolle als Kasimir in Ödön von Horváths Stück «Kasimir und Karoline» ist ihm das Hin und Her wert.
Es ist erstaunlich, was hier seit 1990 Jahr für Jahr als Sommertheater über die Bühne geht. Damals haben die beiden Schauspieler Hans Ruedi Binswanger und Gregor Vogel nach einer deprimierenden Theaterprobe einen Spaziergang am See gemacht und darüber fantasiert, wie Theater sein sollte. Als sie bei der Seeburg ankamen, fiel der Groschen – dieser Platz wurde alsbald zum ersten Spielort und gab dem See-Burgtheater den Namen.
Schon bald war die heutige Regisseurin Astrid Keller als Schauspielerin und Dramaturgin dabei. Sie und ihr Mann Leopold Huber leiten das Unternehmen, das mittlerweile gut im Kulturleben des Kantons verankert ist. Abwechslungsweise führen die beiden auch Regie. So hat Astrid Keller vor zwei Jahren Gottfried Kellers «Romeo und Julia auf dem Dorfe» in einer eindringlichen Inszenierung an den See gebracht. Im Gegenzug präsentierte ihr Partner Leopold Huber im letzten Jahr das Musical «La Cage aux Folles» in einem stilvollen Spiegelzelt. Von der «Dreigroschenoper» über «Biedermann und die Brandstifter» bis zu «Carmen» oder «Kalter Krieg und heisse Würstli» reicht die Palette der Stücktitel.
Grenzüberschreitende Aufführung
Immer wieder taucht der österreichisch-ungarische Dramatiker Ödön von Horváth auf, zuerst 1992 mit «Hin und her».Die Posse um einen staatenlosen Mann, der zwischen zwei Ländern herumgeschoben wird, wurde damals am originalen Grenzzaun gespielt: Ein Teil des Publikums befand sich auf deutscher, der andere auf Schweizer Seite – wachsame Zöllner patroullierten ringsherum. Sie waren erst bereit gewesen, das Theater zuzulassen, nachdem Thurgauer Politiker vermittelt hatten.
«Ein Stück fürs See-Burgtheater muss sich erstens für die Aufführung im Freien eignen», erklärt Leopold Huber. «Und es muss zweitens einen Kommentar zu unserer Zeit abgeben, egal aus welcher Zeit es stammt.» Genau dies schafft Ödön von Horváths «Kasimir und Karoline» aus dem Wirtschaftskrisenjahr 1932, vom Autor selber als «Ballade vom arbeitslosen Chauffeur Kasimir und seiner Braut» bezeichnet. Denn das Stück zeigt laut Huber, «wie die Politik bis ins Innerste hineinspielt». Wie sich etwa ein Mensch, der gerade entlassen wird, gar von der Verlobten entfremdet.
In den Lüften schwebende Wirtschaftskapitäne
Horváths Stück zeigt eindringlich, wie die Welt auf Reichtum fixiert ist. Damals war es der Zeppelin, den alle bewunderten, heute sind es die Manager mit ihren Boni. «Da fliegen droben 20 Wirtschaftskapitäne und hier unten verhungern derweil einige Millionen», bringt Kasimir die Sache auf den Punkt.
Der Kasimir, das ist Kaspar Lochers Rolle. Und die Karoline – vor 30 Jahren von Astrid Keller selber gespielt – verkörpert nun Kellers Tochter Maria Lisa Huber. Noch in der Pubertät hat sie mit der Schauspielerei nichts am Hut gehabt. Jetzt steht sie kurz vor dem Abschluss des Max- Reinhardt-Seminars in Wien. «Bei der Karoline muss ich mich beherrschen, dass ich nicht alles vorspiele», sagt Astrid Keller. «Ich höre sie noch ganz stark in mir drin.» Ihre Tochter aber muss ihre eigene Figur entwickeln.
Schritt für Schritt der Premiere entgegen
Zusammen mit Florian Steiner, der den Zuschneider Eugen Schürzinger spielt, proben sie jetzt die zweite der 117 kurzen Szenen, die Ödön von Horvath auf dem Oktoberfest spielen lässt und in denen die Menschen nie darüber reden, worum es wirklich geht. Oder nur ansatzweise und dann oft unfreiwillig komisch. Karoline will sich vergnügen und lieber Eis schlecken, statt sich mit schweren Problemen zu befassen. Kasimir hat gerade seine Stelle verloren – und der einsame Schürzinger wittert seine Chance …
«Ich hab das Gefühl, es könnte am Anfang noch ein wenig leichter sein», sagt Locher nach dem ersten Versuch. «Wir dürfen nicht schon spielen, dass wir getrennt sind.» Andererseits fügt Astrid Keller an, Schürzinger könne ruhig ein wenig forscher sein. Und fügt gleich hinzu: «Versuchen wir das Ganze noch einmal.»
Und während sich so bis zur Premiere die Szenen Schritt für Schritt zu einem Ganzen fügen, zeigt sich der Seeburg-Park von seiner sommerlichen Seite. Ein Schiff tutet, in der Ferne spielt eine Blasmusik, Spaziergänger bleiben stehen, gehen weiter. Alltägliche Szenen halt.
Kasimir und Karoline
Premiere: Do, 13.7., 20.30
See-Burgtheater Kreuzlingen
www.see-burgtheater.ch