Wir treffen uns auf Seite 244 von Karl Rühmanns Roman. «Café Spitz im Landesmuseum», hat Rühmann am Telefon gesagt. Oder schrieb er das in seinem Buch? So oder so, wir sitzen im «Spitz» – ein Schauplatz des Romans «Der Held» als auch des Autorenlebens. «Hier kann ich gut arbeiten oder lesen», sagt Rühmann. «Ich mag die Atmosphäre.» Man kann ihn sich gut vorstellen, wie er hier Szenen beobachtet und an Texten arbeitet.
Seine Romanfigur Ana sitzt ebenfalls hier, als sie den Rechtsanwalt Feller trifft. Feller vertritt den in Den Haag als Kriegsverbrecher Inhaftierten Oberst Bartok. Er war der Gegenspieler von General Modoran, bei dem Ana als Haushaltshilfe arbeitet. Für Ana ist Jugoslawiens Bürgerkrieg nicht vorbei, so lange sie nichts Genaueres über den Tod ihres Mannes weiss. An ihrem Schicksal wird das Scheussliche des Krieges greifbar, während die Militärs über weite Strecken gepflegt um den heissen Brei herum ihre Briefe schreiben.
«Für mich ist jeder Krieg immer privat», sagt Rühmann, der vor dem Bürgerkrieg in der damaligen jugoslawischen Armee in einer Spezialeinheit diente. «Im Krieg kommen von aussen immer nur grosse Phrasen und Parolen. Dabei ist das einzig Authentische am Krieg die Ebene der privaten Sorgen und Ängste: Werden meine Liebsten überleben? Warum bombardiert der Junge aus meiner Klasse, dem ich früher die Hausaufgaben gemacht habe, unser Heimatdorf?»
Mladen Jandrlic, der unter dem Pseudonym Karl Rühmann schreibt, wurde 1959 in Jugoslawien geboren und wuchs dort auf. Er studierte Germanistik, Hispanistik und Allgemeine Literaturwissenschaft in Zagreb und Münster. Heute lebt er in Zürich und arbeitet als Schriftsteller, Übersetzer, Lektor und Dozent für literarisches Schreiben. Nebst zwei Romanen sind von ihm Erzählungen, Kinderbücher sowie Sachbücher erschienen, jüngst etwa «Wie Kinder Bücher lesen».
Wie Erwachsene Bücher lesen, ist bekannt: Oft suchen sie nach Gut und Böse, nach Antworten anstatt Fragen. In Rühmanns Roman aber geht es nach Ana: «Keine Vorurteile, keine vorschnellen Schlüsse, keine Meinung, nicht urteilen, nicht verurteilen.» Wie ein Refrain durchziehen diese Worte den Text. «Der Held» zeigt, wie «Wahrheiten» produziert werden. Wer zu schnell über die einstigen Kriegsgurgeln urteilt, ergreift einseitig Partei – und tut so genau das, wogegen dieses Buch subtil und doch vehement opponiert.
Denn Partei zu ergreifen, hiesse, mit dem Finger auf andere zu zeigen – der Anfang von viel Unheil. Oder, in Rühmanns Worten: «Es gibt Sachen, mit denen ich mich nie abfinden werde. Ich werde mich immer weigern, den Krieg als etwas Erklärbares hinzunehmen.»
Lesungen
Sa, 24.10., 15.00 Zentrum Karl der Grosse Zürich
Do, 29.10., 20.00 Progr Bern (alle Buchpreis-Nominierten)
Buch
Karl Rühmann
Der Held
264 Seiten
(Rüffer & Rub 2020)
Karl Rühmanns Kulturtipps
Hörbuch
Vea Kaiser: Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger (Argon 2019)
«Unglaublich, wie Cornelius Obonya diese Geschichte vorliest – so stark und intensiv!»
Film
Niklaus Hilber: Bruno
Manser – Die Stimme des Regenwaldes (2019)
«Mir gefällt es sehr gut, wie dieser Film die Welt genau so zeigt, wie Manser sie erlebte.»
CD
Daniel Hope: Air – A Baroque Journey (Deutsche Grammophon 2009)
«Daniel Hope nimmt mich mit auf eine wunderbare kleine Reise durch die Barock-Zeit.»