Es ist sein erstes Konzert im Jazz-Hotspot Zürich, und entsprechend gross sind die Erwartungen an Kamasi Washington. Letztes Jahr meldete sich der Saxofonist aus Los Angeles mit dem Trippel-Album «The Epic» quasi aus dem Nichts und löste damit ein mittleres musikalisches Erdbeben aus. Die 17 Songs dieses wahrhaft epischen Paketes mischen den Jazz neuartig auf, indem sie traditionelle Muster von Gospelgesang bis Bebop-Hymnen auf Hip-Hop prallen lassen, aber auch dazwischen Liegendes wie Jazzrock, Freemusic, Funk mitnehmen. Washington schüttelt alles nicht nur kräftig durch, er peppt es zu zappaesker Opulenz auf und bietet zudem noch Streicher und Chöre auf. Von Schmelz oder Kitsch aber keine Spur, vielmehr knistert alles vor Kreativkraft und Klangwucht.
Kollektiv mit Signalwirkung
Washington wurde in die Musik hineingeboren. Sein Vater war der Saxofonist Rickey Washington, ab dem Teenageralter lebte er für nichts ausser Musik. Bald tourte er mit Hip-Hop-Ikone Snoop Dogg oder Lauryn Hill, heute arbeitet er für Stars wie Kendrick Lamar. Der Hype um «The Epic» und die alsbald kultische Überhöhung der Erscheinung Kamasi Washington ist dennoch übertrieben. Erstens war «The Epic» das Werk des Kollektivs West Coast Get Down, zu dem sich Kamasi und seine Freunde schon als Teenager zusammengefunden hatten. Zweitens ist just dieser Kollektivgedanke gleichsam ein Leitmotiv der Jazzgeschichte. Fast jede Neuerung ging von Kollektiven aus: Bebop, Cool Jazz, M-Base.
Kamasi Washington sticht dennoch aus dem Line-up des 19. Zurich Jazznojazz Festivals heraus. Mit 36 liegt er deutlich unter dem Altersdurchschnitt, treten mit Dee Dee Bridgewater, Billy Cobham oder Blood, Sweat & Tears doch mehrheitlich sehr altgediente Stars an. Und Washington steht für den nicht nur stilistisch neuen US-Jazz. Seiner Kollektividee kommt eine Signalwirkung zu, die den jungen Jazz in den USA wie in Europa antreibt.
Ähnliches geschieht aktuell auch in der Schweiz. Die brodelnd aktiven Szenen in Luzern, Bern oder Zürich funktionieren als Kollektive. Scharen von Youngsters lassen sich von Elder Jazzmen inspirieren, die seit den 90ern zu Hochschulprofessoren wurden. Diese kreativen Anschübe ihrer Mentoren freilich pimpen sie mit multistilistischen Raubzügen auf. Als schönes Beispiel ist am Jazznojazz Festival die Zürcher Band District Five zu hören, die in den Jazzklassen der Hochschule der Künste (ZHdK) entstanden ist.
Kamasi Washington und seine afroamerikanischen Mitstreiter sehen sich jedoch als nicht nur musikalische, sondern auch gesellschaftliche Botschafter. Damit haben Helvetiens Jungjazzer bislang wenig am Hut. Vielleicht aber finden sie im gefeierten Saxer aus Los Angeles ein neues Vorbild. Zumal er in Zürich das pressfrische Album «Harmony Of Difference» im Gepäck haben wird.
Konzert
Kamasi Washington
Mi, 1.11., 20.30
Theater der Künste Zürich
Zurich Jazznojazz Festival
Mi, 1.11.–Sa, 4.11.
Theaterhaus Gessnerallee,
Theater der Künste Zürich
www.jazznojazz.ch
Radio
Fr, 3.11., 21.00
Jazznojazz live auf SRF 2 Kultur
CD
Kamasi Washington
Harmony Of Difference
(Young Turks
Recordings 2017).