Man kennt bei uns wenig von Jules Massenet. Die Oper «Le Cid» ist nahezu verschwunden. In ihrem Standardwerk «Geschichte der Oper» nennen Carolyn Abbate und Roger Parker sie einen «bombastischen Historienschinken im Stil der grand opéra». Der St. Galler Opernchef Peter Heilker empfindet solche Urteile als ungerecht. «Der ‹Cid› ist ein Stück, das es inhaltlich wie musikalisch nicht verdient hat, vergessen zu gehen», sagt er. Aus einem familiären Zwist entzündet sich fast ein Krieg – und auch der religiöse Anteil ist bedeutend.
In luftiger Höhe
Laut Heilker sei «Le Cid» geradezu ideal für die St. Galler Festspiele. Denn er passe von seiner Thematik her bestens auf den Klosterplatz. Mit dieser Inszenierung setzt St. Gallen – nach «I due Foscari» von Giuseppe Verdi vom letzten Jahr – seine Serie eher unbekannter Werke fort. Das ist ein Konzept, das Anklang findet, wie die Erfahrungen über mittlerweile etwas mehr als ein Jahrzehnt zeigen. Die St. Galler Festspiele haben eine Nische gefunden. Sie besetzen zwischen Ende Juni und Anfang Juli einen Zeitraum, der zwar wettermässig zuweilen schwierig ist, in dem sie aber dem weit grösseren Festival in der Region – Bregenz – nicht in die Quere kommen.
«Le Cid» wird von Guy Joosten familiär-intim inszeniert, wobei die Bühne ein spektakuläres Zeichen setzt. Auf eine schräge Ebene hat der Bühnenbildner Alfons Flores zwei tonnenschwere, elf Meter hohe Gerüsttürme gesetzt. Diese stehen für die zwei Familien, die sich im «Cid» eine blutige Fehde liefern, in ihnen spielen sich die intimeren Szenen ab – und manchmal wird da auch in luftiger Höhe gesungen.
«Die Sänger sind Gott sei Dank schwindelfrei», sagt Peter Heilker. Die US-amerikanische Sopranistin Mary Elizabeth Williams wird die Chimène verkörpern, der italienische Tenor Stefano La Colla den Rodrigue, den die Spanier als «Cid», als ihren Nationalhelden, verehren. Der ungarische Bass Levente Páll spielt Don Diègue, Rodrigues Vater, der US-amerikanische Bass-Bariton Kevin Short den Comte de Gourmas, Chimènes Vater. Zwischen ihnen steht der König und die Infantin, die ebenso in Liebe zu Rodrigue entbrannt ist wie Chimène.
«Fast schon Filmmusik»
Das vom litauischen Dirigenten Modestas Pitrénas geleitete Sinfonieorchester St. Gallen sitzt wie schon letztes Jahr nicht unter der Bühne, sondern im nahen Ausstellungssaal. «Der Klang ist exzellent», sagt Peter Heilker. «Die üppig ausgearbeitete Partitur von Massenet wird also nicht vom Winde verweht.»
«Le Cid» wurde von dreieinhalb auf zwei Stunden reduziert. «Das hat dem Stück gut getan.» Und, fügt er zur Ehrenrettung des Komponisten bei: «Massenet ist für mich einer der vielfältigsten, abwechslungsreichsten und vor allem szenischsten Komponisten. Er hat immer sehr effektvoll für die Bühne komponiert.» Das sei fast schon Filmmusik für das Ende des 19. Jahrhunderts.
Joostens Regie setzt nicht auf den politisch-historischen Hintergrund. Wichtiger sind ihm die menschlichen und familiären Beziehungen: Die Tatsache, dass Liebe nicht sein darf, weil der Konflikt der Väter die Kinder für ihre Zwecke instrumentalisiert. «Es geht um einen Machtkampf», sagt er, «das ist ein sehr heutiges Thema.»
Lichteffekte
Tagsüber ist das Bühnenbild nur halb zu sehen. Denn erst wenn es dunkel wird, kommen aufwendige Projektionen des Lichtmalers Franc Aleu hinzu sowie Lichteffekte, welche die Fassade der Kathedrale verwandeln. «Es war mir ein Bedürfnis, die Kirche zu einer Hauptdarstellerin zu machen», sagt Joosten. «Denn man kann machen, was man will: Die Kirche ist immer da.»
Le Cid
Premiere: Fr, 24.6., 21.00 Festspielbühne Klosterhof St. Gallen
www.stgaller-festspiele.ch
Tanz und Konzerte
Um das Hauptstück «Le Cid» herum gruppieren sich ein Tanzstück in der Kathedrale und eine ganze Reihe von Konzerten:
- Das Tanzstück «Rosenkranz» von Cathy Marston setzt eine letztes Jahr mit «Schweigerose» begonnene sakrale Trilogie fort. Es geht darin um den Rosenkranz, der ab dem 13. Jahrhundert zu einem der wichtigsten Symbole der katholischen Kirche wird, ein Symbol für Ritual und Meditation. Besonders gespannt sein darf man dabei auf den Auftritt des Saxofonquartetts clair-obscur.
- Die Konzerte in der Kathedrale, in benachbarten Kirchen und in der Stiftsbibliothek bieten spanische, maurische und arabische Musik dar und greifen damit jenen kulturellen Raum und jene Zeit heraus, in der Massenets «Le Cid» spielt.
- Das Festkonzert mit Gabriel Faurés «Requiem».