Dass Nähe wieder möglich ist, muss erst mal gefeiert werden: Den Festivalauftakt bildet am Mittwochabend in Basel ein riesiges Chorspektakel in der St. Jakobshalle mit mehr als 1000 jungen Sängerinnen und Sängern.
Obwohl das Festival enorm gross ist, steht Grösse ansonsten weniger im Vordergrund. Die vielen Ensembles verteilen sich im Lauf der Auffahrtstage über die Stadt und die Region, singen in den Kirchen und Konzertsälen, auf den Plätzen und in den Parks, manchmal auf Schiffen – also eigentlich überall.
Ein Handy voll mit neuen Kontaktdaten
Denn das ist die eigentliche Kernbotschaft dieses Treffens: Singen geht immer! Gerade auch neben den offiziellen Auftritten, wenn man draussen auf den Strassen auftritt oder mit Kerzen nachts auf dem Marktplatz, wo sich die Chöre spontan treffen.
Es ist fast wie am «Morgestraich», bloss dass man eher zusammen singt als gegeneinander. So unterschiedlich die Herkunft, die Kultur und die Sozialisierung auch sein mögen, es gibt ein riesiges Repertoire an stilistisch völlig unterschiedlichen Chor-Hits, die fast alle kennen.
Wenn also ein Bündner Chor «La sera sper il lag» anstimmt, dann kann er fast sicher sein, dass die Serben und Litauer mitsingen. Und bitte gerne auch das Publikum. Das ist es dann auch, wovon viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit leuchtenden Augen erzählen. Natürlich ist es toll, auf der Stadtcasino-Bühne zu stehen und dem vollen Saal und den anderen Chören zu zeigen, was man erarbeitet hat.
Aber das gemeinsame Singen, die informellen Treffen beim gegenseitigen Zuhören oder in den vielen Gastfamilien, die Begegnungen mit Gleichaltrigen aus unbekannten Ländern, das Gefühl von Gemeinschaft, das sich beim Singen sofort einstellt, Gespräche in abenteuerlichem Englisch, das Handy voll mit neuen Kontaktdaten: Das bleibt für sehr lange.
Choreos sind ein Muss – ausgefeilt oder locker
Die Vielfalt ist beachtlich, ebenso die Qualität der eingeladenen Chöre: Was manche dieser in ganz Europa ausgewählten Ensembles an Chorkultur mitbringen, kann teilweise mit den besten Vokal-Ensembles oder Profi-Chören mithalten. Da wird intensiv mit den jungen Stimmen gearbeitet. In Ensembles, bei denen mitsingen darf, wer Freude daran hat, steht hingegen eher das Mitmachen im Vordergrund.
Das Besondere unter den Sängerinnen und Sängern aber ist: Choreografien sind ein Muss. Sie können ausgefeilt sein oder auch locker individuell improvisiert wirken, aber einfach nur dastehen und gut singen – das wäre viel zu uncool.
Unter den Jungen selbst sind die Choreos wichtiger als das Repertoire, und wer sich als Bühnentalent profiliert, kann meist mehr Applaus ernten als ein Sänger mit einem anspruchsvollen Solo.
Auch Schweizer Chöre behaupten sich in dieser europäischen Elite, unter ihnen seit jeher die Basler Knabenkantorei. Ihr Leiter, Oliver Rudin, bringt die Ambitionen auf den Punkt: «Normalerweise singen wir zweibis dreimal in der Woche, und man hat ein Ziel, und das ist die Bühne.
Man will zeigen, was man kann. Wir suchen das Kompetitive nicht. Aber mit Jugendlichen entsteht es automatisch, und das ist ja auch kein so schlechter Antrieb.» Basel zeigt sich in dieser Hinsicht seit Jahren stark mit der Knaben- und der Mädchenkantorei sowie den Jugendchören der Musikakademie.
Finnland, Belgien, Irland, Georgien oder Lettland
Der Schweizer und der Bündner Jugendchor, der Boys Choir Lucerne und der Jodelchor Jutz vertreten dieses Jahr darüber hinaus die Schweizer Chorlandschaft. Sie treffen auf Mädchen-, Knaben- und Jugendchöre aus Finnland oder Belgien, Irland oder Georgien, Lettland oder Polen.
Jeweils ein Gastchor aus Übersee macht das europäische Festival zum weltverbindenden Treffen. Diesmal kommt er von den Philippinen, aus der Kleinstadt Baao, und bringt einen Einblick in die bei uns kaum bekannte grosse Chortradition des Inselstaates mit.
Man sagt, das Singen sei den Menschen auf den Philippinen sogar wichtiger als das Tanzen. Die Auftritte sind das eine, der Austausch ist aber nicht minder wichtig. Es gibt ein Nachwuchs-Atelier, Workshops, ChorleiterTreffen, oder man kann sich in Body-Percussion üben. Schon im Vorfeld entstanden zahlreiche Verbindungen zwischen den Chören: Man übt seinen Part, und in Basel wird dann alles zusammengesetzt. Zum Beispiel in «Nordic Light», dem gross besetzten zeitgenössischen Werk des estnischen Komponisten Eriks Esenvalds.
Das Programm ist dichter als eine Speisekarte
Man wolle vor allem auch die Vielfalt der Chormusik zeigen, sagt die Festivalleiterin Kathrin Renggli: «Raffiniert arrangierte Popsongs haben genauso Platz wie anspruchsvolle, zeitgenössische Chorwerke oder eingängige Volkslieder. Andererseits werden die Chöre Musik aus ihrem eigenen Kulturkreis zeigen. Wir wollen damit dem Publikum die unverwechselbare Seite jedes Chores näherbringen.» Also auf nach Basel über Auffahrt und ein paar Ohren voll mitnehmen. Wo genau, ist nicht so wichtig: Das Programm ist dichter als die grosse Speisekarte eines Restaurants, und die ansteckende Begeisterung der jungen Sängerinnen und Sänger trägt bis in die kleinste Kirche.
Europäisches Jugendchor
Festival Basel Mi, 17.5.–So, 21.5.
www.ejcf.ch