Der Pazifik
mit seinen Schleppnetzen,
Öltankern und Medusen,
das Lamento
der Zeitungen, die Seevögel
mit verklebtem Gefieder,
das Küstendorf,
seine Strassen und Plätze,
gefangen im Licht,
im Feinkostladen Olivenöl,
Trüffel, der Kelch neben der
Kasse voller Lakritzen.
HALTESTELLE
Wir stehen im Regen,
die Worte und Tage verpappen,
die Zeit schwimmt mit ihren
Büchern davon.
FLUCHT
Du siehst dir nach,
wie du zwischen den Tannen
verschwindest,
noch lange verrät dich
ein Knacken im Unterholz.
GENESIS
Sie öffnet den Rucksack
und beisst in den Apfel,
du bleibst im Kerngehäuse
deiner Sätze zurück.
EXIL
Der Tisch, dein Tisch,
der dir immer ein Ohr war,
das grosse, weiche Ohr
eines afrikanischen Elefanten,
der Tisch
mit dem Elefantengedächtnis
misstraut deinen Worten,
was du schreibst,
ist rastlos geworden
wie die Häuser,
die einst Mass nahmen
am Menschen:
mit ihren Türen und Fenstern
sind sie auf der Flucht,
am Tisch, deinem Tisch,
der dir immer ein Ohr war,
das grosse, weiche Ohr
eines afrikanischen Elefanten,
sitzt nun ein Anderer.
Als der Morgen kam,
die Schuhe auf sie warteten,
als sie ging,
als ihre Schritte noch zählten,
als es sie noch gab, die Cafés,
die Zigaretten, die Feigen im Juni,
als es die Farben noch gab
und das Brillengeschäft
neben dem Blumenladen,
die Nelken für das Grab
und die Gebete
für den Sonntag,
als ihre Schritte noch zählten,
das Gartentor am Morgen
noch quietschte,
als der Abend kam, leise kam,
als die Tage noch zählten.
Keiner der Fahrgäste redet,
es gibt keine Sprache für das Tempo,
die Fahrpläne und Termine,
es gibt keine Sprache für diese Landschaft,
die an dir vorbeirast,
die Bahnhöfe wechseln,
ein Lautsprecher entschuldigt sich
für die Verspätung,
in einer Stadt, die dich nicht kennt,
trinkst du Kaffee,
liest von vertrauten, von fremden Namen,
Mariupol, Charkiw, Odessa,
sie sind weit weg,
sie nehmen Platz in den Zeitungen,
sie rascheln, wenn du eine Seite umblätterst,
als hätten sie die Unschuld von Bäumen.
BORDEAUX, 1802
von Nürtingen kam er, überquerte
den Neckar, den Rhein, zog durch Frankreich
bis zur Garonne, ihrer Mündung,
im Rucksack die Oden, die Hymnen, im Rucksack
die Angst und der Hunger.
Im Hafen die Weinschiffe,
die Nachmittage mit ihrem Heimweh und Sodbrennen,
eine Stille lastete auf den Dächern, schwer
wie gesunkene Frachter,
die Frauen mit ihren luftigen Schleiern,
nah und doch fern,
sie lächelten über ihn, der Tische und Stühle verrückte,
der keine Ruhe fand, nicht hineinfand
in die südliche, klangvolle Sprache, wie er schwitzte
und sich abkämpfte zwischen taubem Gemäuer,
wie sie dahinlebten, scherzten
und stritten, jeden Tag nach einem anderen Wind,
sie waren zufrieden
mit dem Tag, mit der Nacht, der Weltgeist
kümmerte sie wenig.
ROM
Auf der Piazza Navona
beraten die Tauben über
die Zukunft,
die Herrenanzüge im Schaufenster
haben sich in der Jahreszeit
getäuscht.
Mit einem Kaffee,
mit einem kleinen Kaffee,
mit der Stille einer Zigarette,
auf dem Tisch
der Aschenbecher mit seinen Ängsten,
seinen Gedichten und
Träumen,
drüben die Kübelpalmen,
ihre Schatten, zitternd
im Wind.
Jürg Beeler
Jürg Beeler wurde 1957 in Zürich geboren und hat Germanistik in Genf, Tübingen und Zürich studiert. Er hat als Deutsch- und Fremdsprachenlehrer sowie als Reisejournalist gearbeitet. Für seine literarische Tätigkeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt ist sein Roman «Die Zartheit der Stühle» im Dörlemann Verlag erschienen. Jürg Beeler lebt in Südfrankreich und in Zürich.