kulturtipp: Der Tenor gehört zur Unterhaltungskultur. Es gibt Sänger wie Mario Lanza oder Andrea Bocelli, die fast nie auf der Opernbühne standen, aber weltberühmt wurden – Glück oder Pech für einen seriösen Tenor wie Sie?
Juan Diego Flórez: Der Tenor ist jene Figur im Opernbetrieb, die man am meisten liebt – man mag ihn noch mehr als die Sopranistinnen. Das Publikum schätzt unsere Stimmlage so sehr, dass gewisse Sänger unheimlich populär wurden. Unter uns Tenören gibt es Kaliber wie Caruso, Domingo oder Pavarotti! Das sind Markennamen, welche die Soprane nicht kennen, jedenfalls nicht in dieser Universalität. Die Tenorstimme ist angenehm, die hohen Töne bereiten Gänsehaut, und in der Oper spielen die Tenöre die Prinzen oder Liebhaber.
Beleidige ich Sie, wenn ich im Gespräch mit Ihnen Tenöre wie Helmuth Lotti oder Paul Potts erwähne? Der Tenor wird populär – und verliert das Niveau.
Das muss nicht immer so sein. Ich begann ja auch mit der populären Musik. Und schauen Sie: Oper ist kein Spektakel für die Massen. Aber wenn ein Tenor sie dennoch erreichen kann, ist das nichts Schlimmes, im Gegenteil.
Sie sprechen aus Erfahrung, da Sie in Peru ein Volkstenor sind. Ist es kurios, dass Sie hier als seriöser Tenor gelten?
Ja, das ist so. Hier singe ich für eine Minderheit. In Peru fülle ich Stadien und singe dort für Menschen aus allen sozialen Schichten.
Funktioniert das in Europa nicht?
Das erwartet hier niemand von mir. Nur Luciano Pavarotti gelang das.
Warum gerade Pavarotti?
Er wurde zum «Big P» in einer Epoche, als die Oper den Leuten etwas näherlag. Dann war er in Amerika bereits in den 1980er-Jahren in den Medien omnipräsent – selbst in der Werbung. Er schaffte es, Operngesang zu den Massen in Stadien oder Parks zu bringen.
Auch in Europa!
Ja, aber hier kam das später. Erst ab 1990 gab es die «Drei Tenöre», danach war er sowieso der Superstar. Das Gesicht, das Lachen, die Italianità: Wir glaubten alle, dass ein Tenor genau so sein müsse.
War er für Sie der Grösste?
Er war mein Vorbild, hatte er doch eine wunderschöne Stimme. War er der Grösste? Er war einzigartig, aber es gibt viele Arten von Stimmtypen bei den Tenören.
Kamen Sie irgendwann an einen Punkt, an dem Sie unzufrieden waren, wo Sie dachten, ich muss alles ändern?
Nein, so drastisch war es nie. Es ging immer um kleinere Dinge wie etwa die Atmung. Die Stimme ausruhen zu lassen, das ist das Wichtigste, und so habe ich ein strenges Erholungssystem eingeführt. Das Forcieren macht die Stimme müde und ruiniert sie nach wenigen Jahren. Man steigt auf der Karriereleiter zwar rasch höher und höher, doch plötzlich ist Schluss. Für diese Kunst braucht es eine sichere Technik, die es erlaubt, gut zu singen, ohne zu viel zu machen.
Sie könnten heute Abend nicht schon wieder auftreten?
Klar könnte ich, ich könnte dabei sogar viel Geld verdienen. Aber eben: Wie lange ginge das gut? Die Stimme muss immer frisch sein. Luciano Pavarotti sagte mir: «Nie ein Ruhetag – immer zwei!» Viele machen das nicht, singen alle zwei Tage, denken, so verdiene ich mehr. Aber man singt dann auch einige Jahre weniger. Eine Gesangskarriere ist ein Vergnügen: Das will man so lange wie möglich machen.
Auf Ihrer neuen Mozart-CD singen Sie in Deutsch. Können Sie sich vorstellen, einst im Konzertsaal die «Winterreise» von Schubert zu singen? Ein Flórez-Abend ohne Hohes C?
Das wäre eine Herausforderung für mich, aber das Publikum erwartet meine Opernarien.
Sie sind Juan Diego Flórez, können dem Publikum auch zeigen, was Sie wollen!
Ja, aber es muss am richtigen Ort sein. Ich kenne Tenöre, die solche Dinge machen, und das Publikum fragt sich: «Hat er überhaupt gesungen?» Wenn eine Stadt solche Programme versteht, dann geht es in Ordnung. In gewissen Städten kommen in einem Opernrezital bereits gewisse Komponisten nicht an. Zuerst werde ich eher Mozarts «Zauberflöte» singen.
Ihre Karriere dauert schon 21 Jahre. Eine grosse Tenorkarriere dauert 25 Jahre. Für Sie hiesse es, dass es schon bald vorbei wäre.
Ich möchte so lange singen, wie ich nicht bedauert werde. Dann möchte ich fähig sein, das zu kapieren und zu sagen: «Es reicht.» Aber das hat Zeit. Ich brauche keine Karriere in Amerika oder Australien: Ich bin zufrieden in Europa, hier, wo meine Familie ist.
Juan Diego Flórez
Juan Diego Flórez wurde 1973 in Lima geboren. 1996 gab er sein Operndebüt beim Rossini Opern Festival in Pesaro: Der Abend war sein Durchbruch. Er beschränkte sich lange konsequent auf ein lyrisches Tenorrepertoire der Komponisten Bellini, Donizetti und vor allem Rossini, erst seit kurzem kamen auch ausgewählt Werke von Verdi und Puccini hinzu, neuerdings auch Mozart.
CDs
Juan Diego Flórez
Mozart
(Sony 2017).
Italia
(Decca 2015).
DVD
Gaetano Donizetti
Don Pasquale
Opernhaus Zürich
Juan Diego Flórez, Nello Santi
1 DVD, 131 Min.
(Decca 2007).
Opernhaus Zürich
Do, 2.11., 19.30
W.A. Mozart: Arien und Instrumentalstücke
Tenor: Juan Diego Flórez
Dirigent: Riccardo Minasi
Orchestra La Scintilla