Journal: Die Kunst der Entschleunigung
Mit Venedig-Büchern lässt sich eine stattliche Bibliothek füllen. Das Journal «Die Glocken von San Pantalon» der Zürcher Publizistin Klara Obermüller ist dennoch lesenswert.
Inhalt
Kulturtipp 15/2020
Frank von Niederhäusern
Aktuell weilt sie im wohlverdienten Erholungsschlaf und ist so leer und still wie sonst zu keiner Zeit des Jahres. Für Venezia, La Serenissima, ist Corona ein Segen. Der Touristen-Hot-Spot in der Adria-Lagune kann durch-atmen. Denn «Venedig hat seine Seele verloren», erkennt Klara Obermüller in ihrem kürzlich erschienenen Tagebuch «Die Glocken von San Pantalon».
Was nach lapidarer Floskel klingt, untermauert die Zürcher Journalistin u...
Aktuell weilt sie im wohlverdienten Erholungsschlaf und ist so leer und still wie sonst zu keiner Zeit des Jahres. Für Venezia, La Serenissima, ist Corona ein Segen. Der Touristen-Hot-Spot in der Adria-Lagune kann durch-atmen. Denn «Venedig hat seine Seele verloren», erkennt Klara Obermüller in ihrem kürzlich erschienenen Tagebuch «Die Glocken von San Pantalon».
Was nach lapidarer Floskel klingt, untermauert die Zürcher Journalistin und Publizistin auf erstaunliche und eindringliche Weise. Dank einem Stipendium konnte sie 2017/18 vier Wintermonate im Palazzo Castelforte nahe der Kirche San Pantalon verbringen, wohlgemerkt ohne jegliche Verpflichtung. «Des-halb hatte ich mir fest vorgenommen, mir nichts vorzunehmen», schreibt sie in ihrem Tagebuch, das sie freilich erst zurück in der Schweiz niederschrieb. Bei täglichen Erkundungstouren fand die umtriebige Autorin denn tatsächlich zur Ruhe und verrät nun, wie ihr dies in der touristischen Hektik Venedigs gelang. Während Wochen habe sie erst wieder lernen müssen, was sie seit Kindertagen nicht mehr gekannt hatte: die Kunst der Entschleunigung und des Müssigganges. Denn diese ermögliche einem gerade in Venedig, «zu finden, was man nicht suchte». Solch beglückenden Momenten widmet Obermüller ein ganzes Kapitel ihres Journals, waren sie doch entscheidend für jene biografische Zäsur, zu der ihr Venedig-Aufenthalt geführt habe.
Wer denkt nicht an den Tod in Venedig? Morbide wirkende Nebeltage oder die vom Zerfall bedrohten Palazzi liessen auch in der mittlerweile 80-jährigen Autorin Gedanken an die Vergänglichkeit aufkommen. In diese mischten sich aber beglückend wirkende Empfindungen wie Zeitlosigkeit oder aber Erinnerungen an ein erfülltes Leben. Obermüller gelingt es, jenen Zauber, den sie während ihrer Zeit in Venedig in zunehmendem Masse verspürte, so anschaulich wie unterhaltsam zu beschreiben und auf ansteckende Weise weiterzugeben.
Natürlich ist auch dieses Venedig-Buch gespickt mit Entdeckungen und Empfehlungen. Am Schluss verrät Klara Obermüller sogar ihre liebsten Bars und Restaurants, Plätze und Kirchen. Schade eigentlich, denn sollte nicht jeder sein eigenes Venedig entdecken?
Buch
Klara Obermüller
Die Glocken von San Pantalon
162 Seiten
(Xanthippe 2020)