Vor einigen Wochen publizierte eine Schweizer Tageszeitung eine Umfrage unter Autor:innen zum Thema gendergerechte Sprache. Gefragt wurde: Können Sie sich vorstellen, das Sternchen zu verwenden, um mehr Inklusion in Ihren Texten zu schaffen?
Mit nur 11 Kolleg:innen, die zu Wort kommen, handelt es sich kaum um eine repräsentative Umfrage, aber grob lassen sich die Antworten in drei Kategorien einteilen. Jene, die ganz selbstverständlich gendern, jene, die zumindest das Anliegen als legitim betrachten, sich in irgendeiner Weise um Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache zu bemühen, auch wenn sie noch auf der Suche nach der für sie geeigneten Form sind. Und schliesslich jene, die das Gendern grundsätzlich ablehnen. Interessanterweise tun Letztere dies in ihren Antworten aber nicht in wohlartikulierten, höflichen Sätzen, sondern in einem ausgesprochen gereizten Ton. Dem einen Kollegen, sonst kaum um Worte verlegen, ist die Frage nur ein «Nein.» wert, aber offenbar kein Argument. Wenigstens verliert er nicht ganz die Contenance, anders als ein zweiter Kollege. Er liebe die deutsche Sprache und finde diese Gendereien zum Kotzen, lässt dieser uns wissen. Nie würde er so ein Sternchen verwenden, auch lese er keine Texte, die ihn mit diesem Unsinn belästigten. Für jemanden, der die deutsche Sprache liebt, ein erstaunlich prosaischer Ausbruch.
Nicht einmal lesen mag er einen Text, in dem gegendert wird. Das klingt ein wenig nach dem alten Sprichwort: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht. Und in der Tat ist die bäuerliche Assoziation nicht ganz falsch, erinnert mich diese Liebe meines Schriftstellerkollegen zur Sprache doch an das Melken einer Kuh; das macht man halt, solange es geht, auch wenn die Milch schon sauer in den Melkeimer spritzt, weil man die angebundene Kuh zu lange im ungelüfteten, dunklen Stall hat stehen lassen – und lassen Sie mich versichern, dass ich das bildhaft meine, bevor Sie ausrufen: Ha, das Teppichgesicht von einem Schriftsteller hat doch keine Ahnung von Milchviehhaltung!
Saure Milch, das weiss sogar ich als Stadtbewohner, gerinnt. Und ich fürchte, das kann auch mit Sprache passieren. Sie verliert dann ihre Fluidität, stockt, wird fest. Das ist beileibe nicht einfach ein ästhetisches Problem, geronnene Sprache kann sogar ganz elegant sein; es ist vielmehr ein Problem der Haltung. Nicht ein Milchviehhaltungsproblem – wir verlassen hier die Analogie –, sondern ein Problem der Schriftstellerhaltung. Der Haltung des Schriftstellers gegenüber der Welt.
Der US-amerikanische Philosoph Richard Rorty, der von einer literarischen Gesellschaft träumte, bevölkerte seine Utopie mit einer Figur, die er als liberale Ironikerin bezeichnete. Liberal sei eine Person, für die Grausamkeit und Demütigung das Schlimmste sei. Eine Ironikerin wiederum ist eine Person, die ihrem eigenen Vokabular gegenüber radikale Zweifel hegt und es nie als abgeschlossen betrachtet. Das führt dazu, dass sich Ironikerinnen nie ganz ernst nehmen können, weil sie sich stets bewusst sind, dass die Sprache, in der sie sich selbst beschreiben, Veränderungen unterliegt.
Das Gegenteil einer solchen ironischen Haltung zur Welt ist, so Rorty, der gesunde Menschenverstand. Wer stolz auf seinen gesunden Menschenverstand ist, betrachtet sein Vokabular als abgeschlossen. Eine solche Person geht davon aus, dass ihre Sprache die Welt richtig abbildet. Sprache aber, das Werkzeug also, mit dem sich die Schriftsteller:innen zur Welt verhalten, bildet nicht etwas ausserhalb von ihr mehr oder weniger präzise ab. Sprache repräsentiert nicht die Welt. Sprache formt die Welt. Und als eine soziale Praxis war sie schon immer Haupttreiber kulturellen und sozialen Wandels. Wir Menschen können unser privates und soziales Verhalten verändern, und diese Veränderungen verlangen nach neuen Beschreibungen. Wir, und vor allem wir Schriftsteller:innen, sind aber auch in der Lage, Dinge immer wieder neu zu beschreiben, bis sich Muster einer sprachlichen Praxis ausbilden, die wiederum die Menschen dazu bewegen, neue nichtsprachliche Formen des Verhaltens auszuprobieren.
Das ist ein spielerisches Verständnis von Sprache und Welt. Umso fataler ist es, dass die Debatte um die gendergerechte Sprache derart erbittert und übellaunig geführt wird. Dabei ist es doch, angesichts der Unentschiedenheit in der Praxis des Genderns, im Hin und Her zwischen Binnen-I oder Sternchen offensichtlich, dass wir uns einfach in einer besonders intensiven sprachspielerischen Findungsphase befinden. Dabei ist der Wunsch vieler Menschen nach neuen Formen des Sprechens, die für die Beschreibung einer geschlechtergerechteren Welt nützlicher sind, genauso wenig zu leugnen wie die Tatsache, dass die gegenwärtigen Versuche nicht der Weisheit letzter Schluss sein können.
Ich erwarte nicht, dass meine grimmigen Kollegen morgen mit dem Gendern beginnen, aber ich habe die Hoffnung, dass sie etwas weniger stolz auf ihren gesunden Menschenverstand pochen. Das hiesse, dass sie sich im Sinne der Ironikerin etwas weniger ernst nähmen, weil sie sich der Vorläufigkeit ihres Vokabulars und der Unzulänglichkeit ihrer sprachlichen Praxis bewusst werden. Das hiesse, sprachspielerisch die Welt zu gestalten, statt ihrer Fossilierung Vorschub zu leisten. Und weil wir im Spielerischen bekannterweise auch die Gefühle erziehen, besteht sogar die Chance, dass sie dann auch den Schmerz der marginalisierten Erfahrung und die Rechtmässigkeit der Forderung anerkennen.
Ob ihnen das gelingt oder nicht, spielt am Ende aber gar keine so grosse Rolle. Sicher, es würde unsere Gegenwart etwas erträglicher gestalten, weil dem Ingrimm und der Übellaunigkeit des Diskurses die Spitze genommen wäre. Aber sie werden sowieso nicht verhindern können, dass das generische Maskulinum verschwinden wird und irgendwann auch das Sternchen und der Doppelpunkt. Sie werden einer Sprache Platz machen mit einer heute noch unbekannten Grammatik und einem neuen Vokabular, welche die heute dominante Stellung des Geschlechts in der Sprache ersetzen wird, durch Differenzierungen, die uns dereinst, für eine gewisse Zeit, nützlicher erscheinen, bis sie selbst wieder Veränderungen Platz machen werden.
Jonas Lüscher
Der Schriftsteller Jonas Lüscher ist 1976 in Zürich geboren und in Bern aufgewachsen. Seine Novelle «Frühling der Barbaren» (2013) war ein Bestseller. Mit seinem Roman «Kraft» gewann Lüscher 2017 den Schweizer Buchpreis. Er erhielt ausserdem den Hans-Fallada-Preis und den Prix Franz Hessel. Lüscher lebt in München.