kulturtipp: Jonas Kaufmann, Sie singen am Menuhin Festival Gstaad den 1. Aufzug von Wagners «Walküre» konzertant. Wird dieses Werk ohne Szene nicht auf ein Showstück für Sopran und Tenor reduziert?
Jonas Kaufmann: Nein, das empfinde ich nicht so. Der 1. Akt hat eine unglaubliche Dichte und ja, ein Showfinale. Da fällt einem keine Zugabe ein, da gibt es keine Steigerung mehr. So etwas passt schon für eine konzertante Aufführung. Wenn, dann hat es Wagner selbst zum Showstück gemacht.
Singen Sie diese Partie konzertant anders als in der Oper, mit gelockerter Handbremse?
Es ist schön, sich auf die Musik zu konzentrieren, nicht in der Szene Energie zu verbrauchen, dabei kann ich in die Nähe von Perfektion kommen.
Verführt die konzertante Aufführung zu Extremen? Singen Sie die berüchtigten Wälse-Rufe noch eindringlicher, noch lauter, noch länger?
Wer deppert ist und glaubt, im Wälse-Ruf Rekorde aufstellen zu müssen, und nicht dort aufhört, wo es noch gesund ist, ist selber schuld. Gesund ist es nur, solange der ganze Körper dahintersteht. Aber eine solche Passage passiert auch aus dem Moment, ich überlege mir nicht, ob ich die zwei Töne 20 oder 30 Sekunden lang halten will. Es kommt auf die Tagesform an und auf den Moment: So etwas kann ja nur aus mir herausbrechen. Wenn in dem Moment die Energie, die man beim Singen freisetzt, aufgebraucht ist, muss man aufhören – auch wenn die Stimme rein technisch einen Ton länger halten könnte. Dann verliert es den Sinn, dann beginnt der Zirkus.
Sie waren lange krank und konnten fünf Monate nicht singen. Wissen Sie denn nun, wenn Sie auf der Bühne stehen, dass es gehen wird?
Ja, ich habe rechtzeitig die Reissleine gezogen, habe etwas gespürt und erhielt vom Arzt die Bestätigung, dass etwas im Argen liegt. Sonst hätte ich ein paar negative Erfahrungen gesammelt, und es wäre immer schwieriger geworden, das Selbstvertrauen zu behalten. Natürlich war vor der ersten Premiere nach der langen Krankheit eine gewisse Anspannung, ein Druck. Aber ich dachte nie: «Oh Gott, schaffe ich das bis zum Ende!?» Es war eher unangenehm, dass alle hinschauten und das Haar in der Suppe suchten.
Aber wie viel Risiko ist denn da vor der nächsten «Walküre» in München oder jenem 1. Akt in Gstaad?
Es gibt Abende, an denen ich einfach weniger Energie zur Verfügung habe, das hört man dann. Aber das Publikum merkt es manchmal gar nicht. Im Gegenteil, die Mühe, die man hat, wird bisweilen als interessant empfunden.
Unser letztes Interview führten wir vor zehn Jahren in Zürich, damals Ihr künstlerisches Zentrum. 2012 kam Andreas Homoki, und Sie sangen nie mehr hier. Warum?
Mit dem Abgang von Alexander Pereira hat sich viel verändert, man setzte andere Schwerpunkte, hatte wohl das Gefühl, dass das Haus zu sehr auf Stars zugeschnitten war. Und 2012 sagte man: Ein Gast singt auch wichtige Neuproduktionen oder gar nichts. Aber ich habe die schönsten Erinnerungen an Zürich: Das Opernhaus gab mir die Chance, aus einem sicheren Hafen eine Karriere zu starten. Doch diesen Hafen konnte ich dann überall haben. Dass ich lange nicht mehr auf mein einstiges Mutterschiff Zürich zurückgekehrt bin, kann man aber nicht allein Homoki anlasten, das liegt auch an mir.
Inwiefern?
Inoffiziell heisst es vonseiten des Zürcher Opernhauses: Wir nehmen nur noch Sänger, die für Premieren fünf, sechs Wochen lange vor Ort proben. Es ist das gute Recht eines Intendanten, das zu fordern. Aber eben: Dann scheiden bestimmte Personen aus. Ich bin jemand, der gerne und intensiv probt, der aber nicht bereit ist, für eine Inszenierung, die am Ende vielleicht in drei Tagen zustande gekommen sein könnte, sechs Wochen zu arbeiten. Dieses Risiko gehe ich nicht ein, dann mache ich lieber eine Wiederaufnahme, habe wenige Proben und kann dennoch alles zeigen, was ich kann. Ich kann mich nämlich sehr schnell in einer neuen Umgebung entfalten. Bei Pereira waren lange Proben kein Thema. Placido Domingo hat sich in seinen besten Tenorzeiten bisweilen ein Video schicken lassen und kam dann zur Generalprobe. Das würde heute wohl nicht mehr gehen. Wie auch immer: Wenn ich drei Wochen vor der Generalprobe starte, kann mir niemand vorwerfen, zu wenig Zeit zu opfern.
Andere grosse Häuser kommen Ihnen entgegen?
Wenn man in allen Häusern sechs Wochen anwesend sein müsste, dann würde ich mehr Konzerte singen. Ich will nicht sagen, dass es sich nicht rechnet, es geht nicht ums Finanzielle, sondern ums Künstlerische: In mehr als 50 Prozent der Neuproduktionen ärgere ich mich, da mir unvorbereitete und untalentierte Menschen vorgesetzt werden, denen ich gehorchen soll. Ein Maler stellt sein Bild, wenn es verhunzt ist, in eine Ecke und fängt neu an, keiner hat es gesehen. In der Oper geht das nicht, da geht am Tag der Premiere der Vorhang hoch, und wir müssen das präsentieren, was da ist.
CDs/DVDs
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Konzert
Gala-Sinfoniekonzert am Menuhin Festival Gstaad
Sa, 18.8., 19.30
Festival-Zelt Gstaad BE