Dieses Jahr ist Jubiläum für die Freunde Claudio Monteverdis. Der italienische Komponist schuf 1607 – inspiriert von in Florenz aufkeimenden Ideen am Hofe von Mantua – die Oper. Sein 450. Geburtstag wurde im Mai gefeiert, Grund genug für den britischen Dirigenten John Eliot Gardiner, das Jahr diesem Genie zu widmen, dem er seit seiner Kindheit verbunden ist. Als Siebenjährigen nahm ihn seine Mutter mit zu einem Monteverdi-Workshop, den die Komponistin Nadia Boulanger leitete. Offenbar war der Kleine fasziniert von den frühbarocken Werken. Denn bei all seiner späteren Beschäftigung mit Bach, Berlioz und Beethoven kehrte Gardiner im Laufe der Jahrzehnte immer wieder zu Monteverdi zurück.
Drei Werke voller Witz und Klugheit
Eine von Gardiner dirigierte Aufführung von Monteverdis «Marienvesper» wurde für ihn während des Studiums geradezu zur Prüfung, ob er das Zeug zum Berufsmusiker habe. Dies verrät er im Interview, das im Programmbuch der Salzburger Festspiele zu lesen ist. Man könne die Opern von Mozart und Verdi nicht spielen, ohne Monteverdi (1567–1643) studiert zu haben, bemerkt er zudem.
Monteverdis drei Opern-Hauptwerke erarbeitete der 74-jährige Engländer nun mit einer exquisiten Sängerschar und den English Baroque Soloists. In Aix-en-Provence begann das Abenteuer im April. Von dort zog er weiter durch Europa. Im August schliesslich kommt er nach Luzern. Zu hören sein werden dort «Orfeo» (1607), «Il ritorno d’Ulisse in patria» (1640) und «L’incoronazione di Poppea» (1642/1643).
Gardiner sieht in den drei Werken, die eine lange Zeitspanne trennt, weder einen logischen Fortschritt noch eine stilistische Weiterentwicklung, aber sie würden sich ergänzen. Sie böten drei sehr unterschiedliche Sichtweisen auf fundamentale Themen menschlicher Existenz an: «Auf Liebe, Ergebenheit, Treue, Untreue, Sexualität und Spiritualität.»
Mit bisweilen szenischem Furor
Die drei Werke sind voller grosser Worte, Dramatik, Witz und Klugheit. Geradezu faszinierend ist es, mit welch theatralem Instinkt Monteverdi vorgeht, wie jedes einzelne Wort in Musik gesetzt ist und eine dramatische Wendung sucht. Wer in Salzburg miterleben durfte, wie ein riesiger Saal den Klängen und Gardiners Interpretation erlag, muss die Monteverdi-Pilgerfahrt ins KKL jedem ans Herz legen.
Offiziell wird «halbszenisch» gespielt, doch «halb» ist da gar nichts: Jedes Gefühl – jeder Kuss! – wird glaubhaft vermittelt. Bisweilen entsteht ein szenischer Furor, der jeder ausgefeilten Regie genügt. Gardiner ist überzeugt, dass die Vorstellungskraft der Zuhörer unendlich viel mehr leisten kann als jeder Regisseur. «Wir müssen Ausdrucksformen und Bühnenkonventionen finden, mit denen wir diese Fantasie beflügeln und sie nicht am Gängelband führen.» Zu schön zu sehen, wie die hintertriebene Poppea (Hana Blazikova) Liebesschwüre hauchend Kaiser Nerone (Kangmin Justin Kim) um den Verstand bringt und an die Macht kommt.
Zutiefst berührendes Musikdrama
Naturgemäss wird auf historischen Instrumenten musiziert. Wohlartikuliert vereinen sich Text und Musik wundersam. Es geht Gardiner nach eigenen Aussagen darum, die einmalige Palette der Klangfarben und Gefühle in Monteverdis Musik bestmöglich zum Ausdruck zu bringen. Aber er betont, dass in Sachen Monteverdi-Interpretation das letzte Wort nicht gesprochen ist. Damit deutet er, der nie ein strenger Dogmatiker war, seine Fehlbarkeit an. Doch wie sagte er einst? «Es ist nicht besser und auch nicht schlimmer mit alten Instrumenten, es ist anders.» Auf die Frage, ob denn dieses «anders» auch richtiger sei, antwortet er gelassen: «Ich habe keine Ahnung, was richtig oder was authentisch ist. Wenn es etwas Neues ist, ist es allerdings authentisch. Altes muss zeitgenössisch wirken, egal, ob Karajan oder Gardiner dirigiert. Wenn etwas nichtssagend ist, ist es Nostalgie.»
Nichts ist Nostalgie, wenn Gardiner diese 400 Jahre alte Musik im KKL erklingen lässt, ist es zutiefst berührendes Musikdrama.
Lucerne Festival setzt auf Identität
«Einem brandaktuellen und politischen Thema musikalisch nachspüren»: Das will Lucerne Festival laut seiner Webseite mit dem diesjährigen Thema «Identität». Ein weites Themenfeld, das bis Sonntag, 10.9., Anregung für Rezitals, Kammermusik, Sinfoniekonzerte, Podien und ganze Opern sein wird. Artiste étoile sind die Geigerin Patricia Kopatchinskaja und der Cellist Jay Campbell. Composer in Residence ist der 47-jährige Michel van der Aa.
Weitere Infos unter: www.lucernefestival.ch
Konzerte
Orfeo/Ulisse/Poppea
Mit: English Baroque Soloists
Monteverdi Choir, Solisten,
Leitung: Sir John Eliot Gardiner
Di, 22.8. & Fr/Sa, 25.8./26.8.
Jeweils 19.30 KKL Luzern
Billette mit 50% Ermässigung auf die Fahrt mit dem öffentlichen Verkehr erhalten Sie am Bahnhof oder beim
Rail Service 0900 300 300 (CHF 1.19/Min. vom Schweizer Festnetz) sowie online auf sbb.ch/lucernefestival
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