Johann Sonnleitner - Musikalische Reise durch fünf Fenster
Die Glasfenster von Marc Chagall im Fraumünster Zürich haben den Komponisten Johann Sonnleitner 2009 zum Oratorium «Klingendes Licht» inspiriert. Zum 125. Geburtstag von Chagall wird nun eine Neufassung aufgeführt.
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Kulturtipp 13/2012
Reinmar Wagner
Am besten treffe man sich in seiner Zürcher Altstadtwohnung. Dort könne er seine Vorstellungen einer «erweiterten Tonalität» demonstrieren, schlug Johann Sonnleitner vor. Seine Wohnung liegt gleich über der Kirche der Christengemeinschaft Zürich, wo er seit 1985 Organist ist. Und diese Orgel hat er nach seinen Vorstellungen umbauen lassen: Oberhalb der normalen Tastatur befindet sich noch einmal eine Tastenreihe. Diese weiteren zwölf Töne entspre...
Am besten treffe man sich in seiner Zürcher Altstadtwohnung. Dort könne er seine Vorstellungen einer «erweiterten Tonalität» demonstrieren, schlug Johann Sonnleitner vor. Seine Wohnung liegt gleich über der Kirche der Christengemeinschaft Zürich, wo er seit 1985 Organist ist. Und diese Orgel hat er nach seinen Vorstellungen umbauen lassen: Oberhalb der normalen Tastatur befindet sich noch einmal eine Tastenreihe. Diese weiteren zwölf Töne entsprechen den reinen Intervallen der Naturtonreihe für jede Tonart. Deren berühmtester ist das Alphorn-Fa, die elfte Stufe der Naturtonreihe.
Diese Naturtöne spielen bei Blasinstrumenten eine Rolle. Sie fanden deswegen oft Eingang in die Volksmusik unterschiedlicher Regionen. In der europäischen Klassik aber sind sie ausgesperrt: Dort gibt es zwölf Töne, schön gleichmässig über die Oktave verteilt.
Dem 1941 in Wien geborenen Johann Sonnleitner ist es ein Bedürfnis, sich in erweiterter Tonalität auszudrücken. Es gehe ihm dabei nicht darum, «etwas Neues» zu erfinden, sondern um einen «evolutionären Schritt» in der abendländischen Musikgeschichte. «Wir hatten im Mittelalter die Quint- und Quart-Musik», erklärt er. «Spätestens mit Monteverdi kam der Eintritt ins Terzen-Zeitalter. Die nächste Stufe auf der Evolutionsleiter war Schönberg mit seiner Zwölftontechnik. Und ich glaube, dass es nun Zeit ist für einen nächsten Schritt, nämlich den Einbezug der reinen Intervalle der Naturtonreihe.»
Harnoncourt sei Dank
Sonnleitners Erfindung ist das nicht: 1981 eröffnete ihm die Begegnung mit dem Komponisten Heiner Ruland neue Perspektiven und weckten in ihm das Bedürfnis, mit dem Komponieren zu beginnen. Davor war er der «Tastenmensch» im Concentus Musicus von Nikolaus Harnoncourt und beim berühmten Monteverdi-Zyklus in den 70er-Jahren in Zürich auch dessen Assistent. Dann wurde er Professor für historische Tasteninstrumente an der Musikhochschule Zürich. Er gab Meisterkurse, spielte, improvisierte und beschäftigte sich mit den Tempo- und Metronomangaben in der Musik des Barock und der Klassik.
Harnoncourt ist es zu verdanken, dass Johann Sonnleitner mit den Zürcher Chagall-Fenstern in Berührung kam. 1984, als das Opernhaus wegen Umbaus geschlossen war, führte Harnoncourt Monteverdis «Marienvesper» im Fraumünster auf. Bereits damals hinterliessen die prächtig erleuchteten Fenster einen starken Eindruck. Als Marie-Luise Vaihinger, die Leiterin der Singfrauen Männedorf, bei Sonnleitner 25 Jahre später um ein Stück für ihr Abschiedskonzert im Fraumünster anfragte, begann in ihm die Idee für ein Oratorium über die Fenster zu reifen. Trotz erheblicher Schwierigkeiten gelang das Unterfangen: Im Mai 2009 wurde «Klingendes Licht» uraufgeführt.
Auf Anregung von Heinz Bähler, Chorleiter und Bariton bei der Uraufführung, bearbeitete Sonnleitner das Werk nun für Gemischten Chor und Kinderchor, nahm einige Retuschen und Kürzungen vor. In der neuen Gestalt ertönt «Klingendes Licht» nun exakt zum 125. Geburtstag von Marc Chagall. Heinz Bähler dirigiert den Glarisegger Chor, den Kinderchor MKZ-Waidberg sowie ein Instrumentalensemble mit Solisten.
Chagalls Bibelstellen
Die Texte stammen aus der Bibel. Sonnleitner hat Stellen ausgewählt, die auch Chagall bei seiner Arbeit inspiriert hatten. Den biblischen Figuren Moses, Elias, Jeremias oder Jakob hat er je eine eigene Zwölftonreihe zugeordnet. Dennoch sieht sich Sonnleitner nicht als Avantgardisten: «Meine Musik hört sich nicht an wie Neue Musik.» Der Blick in die Partitur zeigt vor allem eine grosse Vielfalt in Instrumentierung und Klangfarben. Nur selten singen und spielen alle miteinander. Manche Stellen gehören allein der Orgel, wieder andere den Solisten, die von wenigen Instrumenten begleitet werden. Die Chöre haben ihre Passagen, ebenso wie die sieben Solisten manchmal zum Septett zusammentreten.
Emotionen wecken
«Klingendes Licht» ist eine Reise durch die fünf Fenster: Nach dem Prolog im zentralen Auferstehungsbild wandert die Musik von unten nach oben erst durch die äusseren, dann durch die inneren beiden Bilder, um am Ende wieder im zentralen Bild anzukommen und in einem Epilog zu schliessen.
Sonnleitner sieht sich nicht als Missionar, aber er ist überzeugt: «Die reinen Intervalle bringen in allen Menschen neue Saiten zum Schwingen. Viele Zuhörer bestätigen mir, dass diese Klänge unbekannte Emotionen in ihnen hervorrufen.»