Laut Joachim Meyerhoff kann man als Mittzwanziger drei Frauen lieben. Verschärft wird die Lage, wenn Meyerhoff drei Frauen gleichzeitig liebt. Immerhin in zwei verschiedenen Städten. Der Jungschauspieler ist nach Bielefeld gezogen und findet hier die erste wirkliche Liebe seines Lebens. Er ist fasziniert von ihrem Aussehen: «Zu grosse Zähne, zu grosse Augen, zu platte Nase, verdammt kurze Haare. Sie gefiel mir sofort.» Es handelt sich um die kompliziert-verkopfte, liebeshungrige Studentin Hanna. Doch der Ich-Erzähler zieht wegen eines neuen Theaterengagements nach Dortmund um. Bezüglich Hanna heisst das: «Ich vermisste sie bereits, war aber auch heilfroh, dass sie endlich weg war.»
Komplizierte Verwicklungen
Im Theater erlebt er wie immer Momente des Scheiterns, des totalen Versagens; sie durchziehen das Buch. Dafür fällt ihm im Musical «Anatevka» die Tänzerin Franka auf, Liebe Nummer zwei. Scharfe Beobachtung: «Diese makellose Einmeterundachtzigfrau hatte tatsächlich Füsse wie eine gichtkranke Oma.» Der Erzähler ist selber erstaunt, wie «widerstandslos» er in «diesen beidseitigen, sauber auf zwei Städte verteilten Betrug hineinrutschte». Denn die Beziehung mit Hanna ist nicht beendet. «Es war ja eigentlich ganz einfach: Mit Hanna wollte ich leben, mit Franka zusammensein.»
Er lobt sein nicht einfaches Dasein im Vergleich zur Literatur: «Endlich hatte ich Probleme, die ich nur aus Büchern kannte.» Kommt hinzu, dass mit der Bäckersfrau Ilse noch eine Dritte in der Runde ist. In der Bäckerei geht er Ilse zur Hand, auch beim Betrieb des kleinen «Gastgartens» im Hinterhof. Der Erzähler hetzt zwischen der Kundschaft im Laden und den Beizentischen hin und her: «Aber ich mochte die Betriebsamkeit, und es kam mir in diesen besonderen Wochen hundertmal sinnvoller vor, als irgendeinen Heini aus der Weltliteratur zu mimen.»
Die Konsequenz aus diesen Verwicklungen: «Werde der beste Liebeslogistiker aller Zeiten» – «Ich raste, meine Gedanken rasten, die Zeit raste. Liebe und Logistik rund um die Uhr.» Und es bedeutet Stress: «Es war die Hölle – und dennoch! Und dennoch und dennoch, ich mochte es.»
Ein Leben, durchsetzt mit Zweifel
Seine Erfahrungen in der wirklichen Welt schüren stetig den Zweifel des Schauspielers an seinem Theaterberuf: «Ich hab null Bock mehr auf Ibsen, Tschechow und Goethe und diesen ganzen Scheiss! Wie soll ich als Abiturient glaubhaft in Theaterstücken spielen, in denen es um nichts anderes als Mord und Totschlag geht? Ich habe nichts erlebt! Keinen Krieg, keine Naturkatastrophen, keine Revolution. Das Krasseste, was ich durchgemacht habe, war die Schauspielschule! Wie soll ich als Kriegsdienstverweigerer Macbeth spielen?»
Joachim Meyerhoff ist in seinem späteren Leben und bis heute Schauspieler geblieben, erst noch ein ausgezeichneter, preisgekrönter – und ein wunderbarer Autor geworden. Man darf nach dem vierten Teil auf weitere Lebensgeschichten hoffen.
Buch
Joachim Meyerhoff
Die Zweisamkeit der Einzelgänger
(Alle Toten fliegen hoch 4)
416 Seiten
(Kiepenheuer & Witsch 2017)