Nach 20 Seiten will man das Buch zur Seite legen – verschenken, vergessen. «Ich hab Krebs», sagt Jimmy seinem Vater beim Bier im Pub. «Braver Junge», sagt dieser. Darauf Jimmy: «Ich meins ernst.» Darauf der Vater: «Übel.» Dieser lakonische Dialog dauert an und ist kaum auszuhalten. Hinzu kommt: Der Krebserkrankte ist nicht irgendein Jimmy, sondern Jimmy Rabbitte, der besondere Vorfreude auf die Lektüre schürte.
Trockener Humor
Jimmy Rabbitte war die Hauptfigur in Roddy Doyles Debütroman «The Commitments» (1987). Darin stellt er mit Kumpels aus der fiktiven Dubliner Arbeitersiedlung Barrytown eine Soulband zusammen, die Erfolge feiert, bald aber wieder zerbricht. «The Commitments» wurde 1991 verfilmt und machte den Iren Roddy Doyle weltbekannt.
Nun ist Jimmy Rabbitte 47 Jahre alt, noch immer als Musikmanager tätig, glücklich verheiratet und vierfacher Vater. Und Jimmy hat Krebs. Darf das sein?, fragt man sich nach besagten 20 Seiten. Welchen Sinn macht dieser Schicksalsschlag? Fragen wie im echten Leben. Und bald wird klar: Auch Jimmy lebt wie im echten Leben. Er ist älter geworden, ruhiger, träger – und er hat Krebs.
Also liest man weiter und wird belohnt mit einem wunderbaren Buch. Roddy Doyle (57) hat eine tiefsinnige Fortsetzung der Barrytown-Trilogie geschrieben – eine traurige und zugleich sehr lustige. Als Jimmy eines Abends hustet, folgt folgender Wortwechsel mit seiner Ehefrau:
– Du hast Darmkrebs, Jimmy, sagte Aoife. – Nicht Lungenkrebs.
– Ich hab nur gehustet.
– Tut mit leid.
– Du hast mein Hemd an.
– Tut mir leid.
– Steht dir.
Dialoge wie dieser prägen Doyles Roman und machen ihn mehr als nur erträglich. Trockener Humor hilft Jimmy und seiner Familie, aber auch den Lesenden. Doyle ist ein Meister des Ungesagten. So wird Jimmys Krebsdiagnose und Krankengeschichte (Operation, Chemo, Rückfälle) zum erzählerischen Gerüst für sein Innenleben und das seiner Familie. Ein Abbild auch für das aktuelle Irland, das die goldenen Jahre bereits hinter sich hat und mit den Folgen der ökonomischen sowie sozialen Deregulierung kämpft. Jimmy lebt als «cooler, wenn auch in die Jahre gekommener Typ». Und als er mit alten Kumpels ein Open Air besucht, wundert er sich: «Schon komisch, wie das Alter sie alle gezähmt hatte.» Mehr sei nicht verraten.
Ein Punk übrigens war und ist Jimmy Rabbitte nicht. Der Titel der deutschen Übersetzung ist missglückt und lässt sich nur mit dem kaum übersetzbaren Wortspiel des englischen Originals «The Guts» erklären, was sowohl Eingeweide als auch Mumm bedeutet.
Doyles Roman handelt von Jimmys Innereien und seinem Mumm. Auch den Lesenden geht die Geschichte an die Nieren, macht aber letztlich Mumm. Nach vielen weiteren Romanen ist Roddy Doyles Rückkehr nach Barrytown vollauf geglückt.
Roddy Doyle
«Punk Is Dad»
410 Seiten
(Haffmans Tolkemitt 2014).