Jessica Durlacher - Späte Gerechtigkeit
In Jessica Durlachers neuem Roman «Der Sohn» lässt die niederländische Autorin einen jungen Mann von heute die Verbrechen der Nazizeit sühnen. Ein literarischer Thriller.
Inhalt
Kulturtipp 07/2012
Renata Schmid
Nach dem Tod ihres Vaters scheint das Unglück über die Familie von Sara Silverstein hereinzubrechen. Beim Joggen wird Sara von einem Unbekannten attackiert und vergewaltigt. Zur gleichen Zeit beschliesst ihr 18-jähriger Sohn Mitch, der in den USA geboren wurde, sich in der US-Army zum Marine ausbilden zu lassen. Ein Schock für Sara, die Mitch bereits in die Fussstapfen ihres Mannes Jacob Silverstein treten sah, eines Filmproduzenten mit Rang und Namen. Schliesslich tauchen...
Nach dem Tod ihres Vaters scheint das Unglück über die Familie von Sara Silverstein hereinzubrechen. Beim Joggen wird Sara von einem Unbekannten attackiert und vergewaltigt. Zur gleichen Zeit beschliesst ihr 18-jähriger Sohn Mitch, der in den USA geboren wurde, sich in der US-Army zum Marine ausbilden zu lassen. Ein Schock für Sara, die Mitch bereits in die Fussstapfen ihres Mannes Jacob Silverstein treten sah, eines Filmproduzenten mit Rang und Namen. Schliesslich tauchen im Arbeitszimmer ihres verstorbenen Vaters Dokumente auf, welche die Vermutung nähren, dass der Tod des Vaters die Folge eines tätlichen Angriffs war.
Sprachlose Opfer
Erst versucht Sara, die heile Welt mit allen Mitteln zu erhalten. Sie verheimlicht den schrecklichen Missbrauch an ihr selbst und reist nach Kalifornien. Dort versucht sie vergeblich, ihren Sohn davon abzuhalten, «sein Leben zu zerstören» und die harte Schulung als Marine-Soldat zu absolvieren. Zurück in Holland, schlägt das Schicksal erneut unbarmherzig zu. Sara, ihr Mann Jacob und ihre Tochter Tess werden in ihrem eigenen Haus Opfer eines Überfalls.
Die Protagonistin kämpft, sucht in all diesen Wirrnissen nach Zusammenhängen und stösst dabei auf eine uralte Geschichte von Hass, Schuld, von Tätern – und vor allem sprachlosen Opfern. Sie geht auf Saras Vater zurück, den einzigen KZ-Überlebenden seiner Familie.
Damit greift Jessica Durlacher in «Der Sohn» einmal mehr die Geschichte ihrer eigenen Familie auf. Die 50-jährige Schriftstellerin ist die Tochter des Soziologen und Schriftstellers Gerhard Durlacher, eines wichtigen Zeitzeugen in den Niederlanden. Er überlebte als Einziger aus seiner Familie Auschwitz und schrieb zahlreiche Bücher. Nicht nur über seine Kinderjahre im Dritten Reich, sondern auch über das Leben nach dem Überleben. «Es war sein Thema bis zum letzten Tag», so seine Tochter in einem Gespräch mit der Tageszeitung «Die Welt».
Sohn als Held
Jessica Durlacher hat das Erbe wider das Vergessen angetreten. Sie hat die traumatischen Erlebnisse ihres «schweigenden» Vaters vorwiegend aus seinen Büchern kennengelernt. In ihren Romanen beschreibt sie immer wieder das Leben von Familien, in denen Eltern den Holocaust überlebt haben. Sie macht deutlich, wie das Geschehene auch die Kinder und Kindeskinder traumatisiert und prägt.
Bis heute. Im neuen Werk verwebt die Niederländerin, die zeitweise auch in den USA lebt, Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg mit der Gegenwart zu einem Thriller. Dabei rückt sie erst das Schweigen der Opfer ins Zentrum und lässt zum Schluss den Sohn der Erzählerin Sara zum «Helden» (so der holländische Buchtitel) werden: Mitch, der frisch ausgebildete US-Marine, ist es nämlich, der als Aussenstehender für die Gerechtigkeit sorgt, stellvertretend für alle Opfer.
[Buch]
Jessica Durlacher
«Der Sohn»
Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers
408 Seiten
(Diogenes 2012).
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