Jens Steiner Rastloses Reisen
In seinem Debütroman «Hasenleben» berichtet der Schweizer Autor Jens Steiner schonungslos von einer Familie, der die Wurzeln fehlen.
Inhalt
Kulturtipp 08/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Babina Cathomen
Hakenschlagend, wie die Hasen, zieht die junge, alleinerziehende Mutter Lili mit ihren beiden Kindern Emma und Werner durch die Schweiz. Von Genf nach St. Moritz in ein namensloses Dorf, immer auf der Flucht, unstet. «Lili dachte an ihre Kinder wie an zwei Schildkröten, die den ganzen Tag zu Hause waren, sich ein bisschen hin und her bewegten, an etwas herumkauten, und am Abend, wenn man zurückkam, sah es aus, als ob sie gar nichts getan hätten.» Lili kümmert s...
Hakenschlagend, wie die Hasen, zieht die junge, alleinerziehende Mutter Lili mit ihren beiden Kindern Emma und Werner durch die Schweiz. Von Genf nach St. Moritz in ein namensloses Dorf, immer auf der Flucht, unstet. «Lili dachte an ihre Kinder wie an zwei Schildkröten, die den ganzen Tag zu Hause waren, sich ein bisschen hin und her bewegten, an etwas herumkauten, und am Abend, wenn man zurückkam, sah es aus, als ob sie gar nichts getan hätten.» Lili kümmert sich nicht um ihre Kinder, Geborgenheit kennen sie nicht. Der kleine Werner zieht sich in sich selbst zurück, redet wenig. Emma, seine grosse Schwester, bekämpft ihre Einsamkeit, indem sie sich an den Armen ritzt oder durch den Wald trabt, «die rohe Wut immer streng an der Leine führend». Ihrem Bruder ist sie der Schutzengel, der stets ein Auge auf ihn wirft. Doch was schliesslich im Dorf-See passiert, kann auch Emma nicht verhindern. Über das Unglück wird nicht gesprochen: «Werner blieb ein Stecknadelkopf, klein, hart und schwer. Beide Frauen trugen ihn im Bauch mit sich.» Im zweiten Teil des Romans trennen sich ihre Wege. Emma macht es ihrer Mutter gleich, reist rastlos durch Spanien und Griechenland, lässt Orte und Menschen an sich vorüberziehen. Bis ein weiterer Schicksalsschlag wartet.
Der 36-jährige Autor und Lektor Jens Steiner zeichnet in seinem Debütroman ein ganz und gar unsentimentales Familienporträt. Aus den Handlungen der Figuren spricht meist das Leid der Vergangenheit, auch wenn vieles aus Lilis früherem Leben verborgen bleibt. In dichter Sprache findet Steiner Bilder, welche die Verlorenheit, die fehlenden Wurzeln sichtbar und spürbar machen. Schonungslos berichtet er vom «Unleben» der beiden Frauen. Sie lassen sich treiben, immer darauf bedacht, nicht nachzudenken: «Wie eine Feder in der Luft, die man ein bisschen bemitleidet, weil sie keinen eigenen Willen hat.» Nur in wenigen Gesten der Figuren blitzt menschliche Anteilnahme auf, die noch nicht durch Gleichgültigkeit überdeckt wurde. Emmas Weg wird schliesslich zu dem der Mutter.
[Buch]
Hasenleben
Jens Steiner
287 Seiten
(Dörlemann Verlag 2011).
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