Rund 40 Gemälde, Plastiken, Grafiken oder Fotos: Das Kunsthaus Zürich stellt sich unter dem Titel «Bilderwahl! Ich/Nicht Ich» einer intimen Form der Kunst, dem Selbstporträt. In der Schau sind Namen wie Dieter Roth, Pipilotti Rist oder Urs Fischer vertreten. Ihre Werke gehören zur Sammlung des Hauses.
Die neue Ausstellung setzt mit Porträts aus dem Ende des 19. Jahrhunderts ein und führt bis in die Gegenwart: «Sie widmet sich dem Künstlerblick auf das Ich, auf die Schärfen und die Untiefen der eigenen Existenz», wie es im Begleittext heisst. Dabei wird der innere Zustand nach aussen gekehrt, «oder Gesten und Accessoires werden symbolisch eingesetzt, um über die Selbstinszenierung ein Bild des eigenen Ich zu vermitteln». Zwei typische, doch gegensätzliche Beispiele dafür sind der Schweizer Künstler Alberto Giacometti und die US-Künstlerin Cindy Sherman.
Bilderwahl!
Ich/Nicht ich
Fr, 27.11.–So, 28.2. Kunsthaus Zürich
Alberto Giacometti
Dieser junge Mann weiss, was er will. Er zeigt sich zwar in einer fast knienden Pose, aber seine Körperhaltung ist entschlossen, aggressiv. Hier arbeitet ein Künstler, von dem man noch hören wird, lautet die Botschaft. Alberto Giacometti (1901–1966) war zwar ein künstlerischer Niemand, als er dieses Porträt 1921 kurz vor seinem langen Aufenthalt in Paris von sich malte. Er stand damals noch unter dem Einfluss seines Vater, der ihn in die Malerei einführte. Und doch hatte der 20-Jährige aus dem Bergell bereits etliche Lebenserfahrungen gesammelt. Er durfte im Jahr zuvor seinen Vater nach Venedig begleiten, der als Mitglied der Eidgenössischen Kunstkommission die Biennale besuchte. Und der Jungspund hatte eine künstlerische Ausbildung absolviert, wenn auch eine kurze, an der Ecole des Beaux-Arts in Genf.
Der Beginn der 20er-Jahre war für Giacomettis Biografie prägend. Er bereiste Italien und erfuhr die materielle Förderung seines begüterten Mäzens Pieter van Meurs, der allerdings 1921 an einem Herzversagen starb. Im folgenden Jahr zog Giacometti nach Paris, wo er beim Friedhof Montparnasse in einem Betonbau sein erstes Quartier bezog. In der Metropole setzte er seine Ausbildung an der Académie de Grande Chaumière fort – glänzte allerdings vor allem durch Abwesenheit.
Das Ölporträt war ihm in jungen Jahren eine Herzenssache – lange vor den Skulpturen, die ihn weltberühmt machen sollten. Er wollte die Maltechnik beherrschen, aber dies fiel ihm stets schwerer als das Modellieren. Er zweifelte sogar am Sinn des Porträtierens. Giacometti brachte es trotzdem zu solcher Meisterschaft, dass die renommierte Londoner National Gallery seinen Porträts derzeit eine grosse Ausstellung widmet (bis 10.1.).
Cindy Sherman
So entstellt möchte niemand aussehen – ausser die US-amerikanische Künstlerin Cindy Sherman. Sie inszenierte sich selbst in zahlreichen Aufnahmen hässlich, hässlicher, am hässlichsten – wie hier 1984 als 30-Jährige. Bemerkenswert ist ihr Gesichtsausdruck: Sie strahlt fast, als ob die Entstellung Teil ihres Selbst wäre.
Die Avantgardistin karikierte während Jahren sämtliche Formen der menschlichen Erscheinung; die gängige Vorstellung von Schönheit erschien ihr stets als ein Gräuel. Dabei steht sie selbst immer im Bild, ohne wirklich sich selbst zu sein. «Der seltsame Humor der Cindy Sherman» urteilte die deutsche Zeitung «Die Welt», und die Fotografin sagte dazu in einem Interview: «Was manche Leute hässlich finden, gefällt mir … allein schon, weil es sich stark von allem unterscheidet, was traditionell für schön befunden wurde.» Ihre Schlussfolgerung: «Ich habe mein Gesicht immer als eine Leere empfunden.» Die Künstlerin sieht das Abschreckende als gesellschaftlichen Gegenentwurf. Kein Wunder, sind ihr die Models in Modemagazinen Abschreckung; Schönheitsideale verwirft sie als Teil ihrer Gesellschaftskritik. Allerdings sagt sie, dass ihr die Fotografien langsam verleiden und sie im Alter lieber Filme drehen möchte.
Verfremdung ist ihr Lebensinhalt. Wohl deshalb hat sie sich das Pseudonym Cindy Sherman als eine neue Identität zugelegt. Sie heisst eigentlich Cynthia Morris und wuchs in einer kunstaffinen Familie im US-Bundestaat New York auf. Sie erhielt bereits als Kind eine Fotokamera und absolvierte eine künstlerische Ausbildung an der Universität von Buffalo und war bald Teil des US-amerikanischen Kunstestablishments. Ihre Fotografien kosten Millionen. Sie lebt heute mit dem britischen Musiker David Byrne zusammen, dem Frontman der Rockgruppe Talking Heads.