Jazz - Ein teuflisch guter Pianist mit kaukasischen Wurzeln
Der armenische Pianist Tigran Hamasyan hat als Kind Weltklassejazzer zum Staunen gebracht. Mit 24 ist er ein Topjazzer und spielt erstmals solo in der Schweiz.
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Kulturtipp 05/2012
Frank von Niederhäusern
Sein Name klingt wie eine orientalische Würzmischung. Wie ein Pulver, das aus simplem Reis ein raffiniert duftendes Gericht zaubert – sinnenbetörend und rassig zugleich. So überrascht es kaum, dass der Musik von Tigran Hamasyan ein märchenhaft-exotischer Touch anhaftet, der als bislang ungehört erscheint.
Tatsächlich überrascht der 24-jährige Armenier mit einem Pianojazz, der sich abhebt von aktuellen Strömungen wie der Hinwen...
Sein Name klingt wie eine orientalische Würzmischung. Wie ein Pulver, das aus simplem Reis ein raffiniert duftendes Gericht zaubert – sinnenbetörend und rassig zugleich. So überrascht es kaum, dass der Musik von Tigran Hamasyan ein märchenhaft-exotischer Touch anhaftet, der als bislang ungehört erscheint.
Tatsächlich überrascht der 24-jährige Armenier mit einem Pianojazz, der sich abhebt von aktuellen Strömungen wie der Hinwendung zu Pop oder Clubsounds. Tigran Hamasyan wühlt in gänzlich anderen Inspirationsquellen und greift auf klassische Vorbilder wie seinen Landsmann Aram Khatchaturian oder die armenische Volksmusik zurück. Auch den Jazz hat er eingehend studiert und collagiert diese unterschiedlichen Einflüsse mit eigenen Ideen zu Kompositionen und Improvisationen. Natürlich profitiert Tigran, der selbst auf seinen Nachnamen verzichtet, vom Exotenbonus. Denn einen Jazzer aus Eriwan gibts nicht alle Tage zu bewundern. Zwar hat der Fall des Eisernen Vorhangs die Sicht auf die schon immer lebendige osteurpäische Jazzszene geöffnet. Doch mit dieser hat Tigran nichts mehr am Hut. 1987 im ostarmenischen Gjumri geboren, wuchs er in die neue, westlich orientierte Freiheit hinein. Vater und Onkel hätten ihm Beatles und Led Zeppelin vorgespielt, betont er in jedem Interview; aber auch die grossen US-Jazzer. Einen solchen traf er mit 13 Jahren leibhaftig.
Wunderkind
Als Wunderkind stark gefördert, trat Tigran 2000 am Jazzfestival Eriwan auf – und machte den anwesenden Chick Corea hellhörig. Noch als Teenager absolvierte er erste Tourneen in Europa. Als die Familie 2003 nach Los Angeles zog, schrieb er sich dort zum klassischen Pianostudium ein. Die Jazzleidenschaft lebte er in verschiedenen Bands aus. Bald aber begann er, seine eigene musikalische Mischsprache zu entwickeln. 2006 wurde zum Schlüsseljahr: Tigran gewann die renommierte Thelonious Monk Jazz Competition und brachte auch sein Debütalbum «World Passion» heraus. Es folgten zwei weitere CDs mit Bands und letztes Jahr das erste Soloalbum.
Fabeln erzählen
Solo spielt er auch an den Schweizer Konzerten. Dem TV-Kanal arte erklärte er vor ein paar Monaten, dass ihm Solokonzerte wohl eine grosse Herausforderung seien, aber auch die Freiheit zur wahren Improvisation geben. Im selben Interview betont er: «Jazz gibt mir die Freiheit, zu improvisieren, nicht aber die Sprache dazu. Die kommt von der armenischen Volksmusik.» Tatsächlich klingt diese auf dem Soloalbum «A Fable» deutlich durch. So werden Tigrans Improvisationen stets eingängig, auch für ungewohnte Ohren. «Ich möchte Geschichten erzählen, Fabeln», erklärte er dem Berliner Radiosender kingfm seinen Albumtitel. «Leute mögen Fabeln, weil sie simpel sind, aber dennoch Tiefe haben.»
Darin könnte eine weitere Erklärung für Tigrans Erfolg liegen. Er hat etwas zu erzählen und weiss auch, wie er dies anstellen muss. Seine Fabeln erklingen zwar fast durchgehend als lyrische Balladen, die Tigran aber fingerfertig von perlenden Rinnsalen zu rauschenden Strömen wachsen lässt. Ganz anders kommt der Tastenvirtuose daher, wenn er mit seiner Band Aratta Rebirth antritt. Als er mit ihr das rhythmisch vertrackte «Falling» am französischen TV spielte, stellte er ein effektvolles Vocal-Intro als Human-Beat-Box voran. Vereinzelt greift er auf elektronische Spielereien wie Overdubs und Samples zurück, obwohl er sie nicht nötig hat.
Ein rundum fixes Kerlchen ist dieser noch sehr junge Musiker. Es bleibt die Frage, wie er sich zu steigern vermag. Seinen neuesten Streich spielt er auf dem eben erschienenen Album des schwedischen Starbassisten Lars Danielsson. Vielleicht liegt hier seine künftige Herausforderung – sich mit Grösseren zu messen und an ihnen zu wachsen.
[DVD]
Tigran Hamasyan Aratta Rebirth
Red Hail
(Plus Loin 2009).
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[DVD]
Tigran solo
A Fable
(Verve 2011).
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