Noch keine zwei Minuten miteinander gesprochen, und schon sagt dieses Gegenüber mit leuchtenden Augen: «Ich liebe Menschen mit hohen Ansprüchen.» Das ist ein typischer Satz für den US-amerikanischen Dirigenten James Gaffigan. Nichts liebt der 36-Jährige mehr, als Künstler, die ihn schon faszinieren, wenn sie den Proberaum betreten. Oder die ihn so sehr herausfordern, dass er auf Eiern geht.
Der russische Geiger Vadim Gluzman ist so einer. Deshalb nahmen Gaffigan und sein Luzerner Sinfonieorchester im November zusammen mit ihm das viel gespielte Violinkonzert von Johannes Brahms auf.
Keine Mittelmässigkeit
Aufgezeichnet wurde bei der Aufführung und während der Proben. «Im Konzert gibt es magische Momente, die kann man nie wiederholen», sagt Gaffigan so sanft, als habe er einen solchen Moment eben im inneren Ohr gehört. Für ihn ist aber klar, dass ein perfektes Konzert nicht zwingend eine gute CD ergeben muss. «Als ich im Konzertsaal Bruckners 7. Sinfonie mit dem Cleveland Orchestra und Franz Welser-Möst hörte, dachte ich, das beste Konzert meines Lebens gehört zu haben.» Auf der Aufnahme sei es danach aber nicht die gleiche Erfahrung gewesen.
Einst als Student lernte er auf CD die Berliner oder die Wiener Philharmoniker kennen. Heute mag er keine Orchestermusik-Alben mehr hören, sie machen ihn geradezu nervös. «Mahlers 4., dirigiert von Bernard Haitink? Schrecklich, weil es so grossartig ist! Da höre ich gleich in 1000 Details rein.» Statt Genuss wird jedes CD-Hören zu einem kleinen Kapitel im grossen, ungeschriebenen Lehrbuch des Dirigenten James Gaffigan. Mit polierter Mittelmässigkeit kann er sich nicht begnügen.
Kann dieser eloquente Amerikaner Musik überhaupt geniessen, da er doch immer noch ein Stück weiterkommen will? Er zögert, sagt dann aber sehr bestimmt: «Ich kann ein grosses Konzert nach dem letzten Paukenschlag zwar feiern und stolz sein. Aber ich bin nie völlig glücklich mit einer Aufführung.»
Höchste Ansprüche
In Luzern musste Gaffigan am Anfang gar aufpassen, nicht jedes kleinste Detail zu regeln. «Irgendwann begannen wir, uns zu vertrauen – da stieg die Qualität extrem an.» Aus Gaffigans Stimme klingt Glück.
Man kann sich dennoch gut vorstellen, dass Musiker bisweilen vor den Ansprüchen Gaffigans erbleichen. Sein Chef, der LSO-Intendant Numa Bischof, sagt darüber: «James fordert viel, aber auf charmante Art. Das Orchester dürstet nach der Zusammenarbeit mit ihm.»
Falls nötig, gewährte Bischof dem Dirigenten auch mal mehr als die normalen, für Laien eher kurzen zweieinhalb Tage Probezeit vor dem Auftritt. Doch Gaffigan verzweifelt nicht an dieser weltweit bestehenden und meist unantastbaren Tatsache, sondern sagt keck: «Gute Dirigenten wissen, was sie mit guten Orchestern proben müssen. Mit grossen Musikern kann Geniales passieren, je weniger man ihnen vorzeigt.»
Dann lächelt er bei der Frage, ob er in der Wiener und der Münchner Staatsoper für die Repertoire-Abende (Wiederaufnahmen von Produktionen) jeweils Probezeit zur Verfügung gehabt habe. Natürlich gab es keine, und trotzdem war er nach den Aufführungen beglückt. «Die sind so gut! Wenn die Wiener den Dirigenten und die Sänger mögen, dann wird es unheimlich grossartig. Ich glaube an ihren Mozart-Klang.» Und die Wiener glaubten an Gaffigan, luden ihn nach dem ersten Engagement sogleich wieder ein.
New York und Luzern
Im Dezember 2015 stand eines der wichtigsten persönlichen Debüts an, jenes «zu Hause» beim New York Philharmonic Orchestra. Noch fällt es ihm auf, wenn sein Name auf den Konzertplakaten New Yorks zu lesen ist. Er erwähnt, wie speziell es für ihn sei, in Wien jenem Konzertmeister die Hand zu geben, den er von den DVDs mit Carlos Kleiber her kenne. «Aber wenn ich dann auf dem Podium stehe, bin ich zu Hause. Dort kann ich mir selbst vertrauen.»
Sechs Jahre ist er noch in Luzern. Es ist keine Durchgangsstation, hier ist er mit Frau und Kind angekommen. Dereinst will er als Dirigent eines grossen Sinfonieorchesters ins KKL zurückkehren, ans Lucerne Festival. Grosse Wünsche und hohe Ansprüche schliessen sich nicht aus.
CDs mit dem LSO und Gaffigan
Dutilleux/Debussy
Tout un monde lointain
(Harmonia Mundi 2015).
Dvorák
Sinfonie Nr. 6 & Amerikanische Suite
(Harmonia Mundi 2014).
Konzerte
Reformation
Sinfoniekonzert mit Alina Ibragimova (Violine)
Mi/Di, 2.3./3.3., je 19.30 KKL Luzern