Wenn ein engagierter Zürcher Verlag ein Buch mit Erscheinungsdatum 1888 neu auflegt, kann der Grund nicht nur beim 200. Geburtstag des Autors liegen. Zwar hat der Limmat-Verlag durchaus dokumentarische Ziele, doch vor allem hohe qualitative Ansprüche. Und damit ist die Bedeutung des Romans «Hans Grünauer» bereits umschrieben.

Über Jahrzehnte von Historikern und Volkskundlern als «autobiografisches Zeitdokument» erforscht und als solches zuletzt 1971 editiert, wird das Buch des Zürcher Oberländer Autors Jakob Senn (1824–1879) endlich wieder als das anerkannt, was es ist: ein Roman von literarischer Bedeutung.

Von erstaunlicher Brisanz

Natürlich klingt «Hans Grünauer» aus heutiger Warte beschaulich und ist mit ungewollten Helvetismen gespickt. Inhaltlich jedoch ist der im Winter 1862/1863 entstandene, aber erst 1888 erschienene Roman von erstaunlicher Brisanz. Jakob Senn beschreibt autofiktional die zögerliche Alphabetisierung der Zürcher Landbevölkerung in den 1830er-Jahren, lässt seinen Protagonisten aber lediglich bis zur 5. Klasse in der Schule.

Denn zu Hause wird der Hansli als Heimweber gebraucht. In einem Brief an seinen Zeitgenossen Gottfried Keller schreibt Senn: «Ich bin Autodidakt im strengsten Sinne des Wortes, und ich ward es natürlich nicht etwa aus Originalitätssucht, sondern aus Mittellosigkeit.» Sein «Hans Grünauer» ist eine direkte Hommage an Kellers «Der Grüne Heinrich» und wie dieser ein dicht verästelter Entwicklungsroman. Grünauer schafft es vom Bauernbuben zum jungen Dichter und freien Schriftsteller und bereist sogar die weite Welt.

Lässt Jakob Senn seinen Romanhelden letztlich glücklich werden, blieb sein eigenes Leben nach vielversprechenden Entwicklungen freudlos. Nach einer Anstellung als Antiquar in Zürich wanderte Senn nach Südamerika aus und hoffte nach seiner Rückkehr auf eine Stellung als uruguayischer Konsul in Zürich. Vergeblich. Und als sich weitere Enttäuschungen und Misserfolge einstellten, ertränkte er sich mit 55 Jahren in der Limmat.

Theaterstück, Dokfilm und Wanderausstellung

Die Abstimmung zwischen autofiktionalem Roman und biografischer Realität liefert Matthias Peter im informativen Nachwort der Neuausgabe. Der Publizist und Schauspieler ist Senn-Spezialist und hat zum 200. Geburtstag des Autors ein Theaterstück verfasst, in dem er selbst die Hauptrolle spielt. Das Jubiläum umfasst zudem eine Wanderausstellung sowie einen Dokfilm und bietet Materialien für den Schulunterricht an. Im Zentrum steht Jakob Senns wichtiger und schön editierter Roman.

Ausstellung
Film Buch 200 Jahre Jakob Senn
Bis So, 21.1., Museum Strauhof Zürich Di, 23.1.–So, 11.2. C. F. Meyer-Haus Kilchberg ZH Mi, 14.2.–Sa, 9.3. Bibliothek Hauptpost St. Gallen Mo, 11.3.–Fr, 12.4. Gottfried-Keller-Zentrum Glattfelden ZH

Theater
Jakob Senn – Der «Grüne Heinrich» von Fischenthal

So, 21.1., 11.30 Museum Strauhof Zürich So, 4.2., 16.00 C. F. Meyer-Haus Kilchberg ZH Mi, 14.2./Fr, 16.2., 20.00, So, 25.2., 11.00 und So, 3.3., 17.00 Kellerbühne St. Gallen Sa, 23.3., 20.00 Schlosshalde Winterthur ZH So, 24.3., 17.00 Blume Fischenthal ZH

Film
Vom Heimweber zum Dichter

So, 18.2., 15.00/17.00 und Mo, 19.2., 20.00 Kellerbühne St. Gallen www.jakob-senn-200.ch

Buch
Jakob Senn

Hans Grünauer 360 Seiten (Limmat 2024)