«Getropfte Malerei» machte den US-amerikanischen Action-Painter Jackson Pollock weltbekannt. Jetzt zeigt das Basler Kunstmuseum im Neubau eine wenig bekannte Seite des Künstlers. Im Herbst 1939 erlebte er seine Erleuchtung. Der US-amerikanische Künstler Jackson Pollock besuchte das Museum of Modern Art in New York, das schon damals eine Retrospektive von Pablo Picasso zeigte – 344 Werke inklusive der berühmten Antikriegsdarstellung «Guernica». Pollock erkannte bei diesem Besuch das Potenzial der europäischen Moderne. Sie sollte ihn für den Rest seines Lebens prägen.
Jackson Pollock (1912–1956) entwickelte aus diesen Impulsen eine eigene, radikal abstrakte Technik, die «Getropfte Malerei» (Drip-Paintings), die ihm vom «Time»-Magazin den etwas frivolen Übernamen «Jack the Dripper» eintrug. Diese Seite des Künstlers ist heute allgemein bekannt. Zusammen mit Mark Rothko steht er für die Avantgarde der US-amerikanischen Malerei, die scheinbar sämtliche gestalterischen Konventionen hinter sich liess und den kommerziellen Kunstmarkt mit horrenden Preisen anfeuerte.
Die Entwicklung als figurativer Maler
Viel weniger bekannt als die Drip-Paintings sind Pollocks figurative Werke, die das Basler Kunstmuseum nun im Neubau vorstellt. Die Schau vermittelt einen umfassenden Eindruck von der künstlerischen Entwicklung Pollocks als figurativen Maler von Mitte der 1930er- bis zu den 1950er-Jahren. Rund 100 Gemälde und Arbeiten auf Papier sind zu sehen. Das Kunstmuseum bezieht sich mit der Hinwendung zu seiner figurativen Kunst auf eine Erkenntnis, die Pollock dem Schriftsteller Selden Rodman kurz vor seinem Tod in einem Gespräch erläuterte: «Wenn man aus dem Unbewussten heraus malt, müssen zwangsläufig Figuren hervortreten.»
Tatsächlich liess sich Pollock wie wenig andere bei seiner Arbeit von der Gefühlswelt lenken. So war für ihn der Akt des Malens genauso wichtig wie das Ergebnis – Action-Painting erkannte die Kunstkritik.
Jackson Pollock wuchs in der US-Provinz von Arizona und Nordkalifornien auf. Sein Vater war ein Landvermesser, und der junge Jackson begleitete ihn auf seinen Reisen durch die amerikanischen Weiten.
Dabei kam er in den Kontakt mit der indigenen Kunst der Ureinwohner, die ihn zeitlebens beschäftigte. Eine künstlerische Ausbildung erhielt Pollock in den frühen 1930er-Jahren in New York bei Thomas Hart Benton, einem Künstler, der sich ebenfalls der ländlichen US-Tradition verpflichtet fühlte. Die Chancen waren damals gross, dass Jackson Pollocks Werke kaum je weitere Beachtung finden würden. Doch der Mann war auf steter Suche nach neuen Inspirationen – von den urbanen Mauerbemalungen bis hin zu den Surrealisten oder der mexikanischen Kunst eines Diego Rivera –, und er setzte seine Eindrücke in der Kunst um.
Die unmittelbare Nachkriegszeit brachte Pollock den grossen Durchbruch: Die Sammlerin und Kunsthändlerin Peggy Guggenheim entdeckte ihn nach einem Fingerzeig des französischen Konzeptkünstlers Marcel Duchamp. Vor allem aber lernte Pollock die Künstlerin Lee Krasner kennen. Die beiden heirateten und bezogen mit der Unterstützung von Guggenheim ein Landhaus auf Long Island. In jenen Jahren entwickelte er seine «Getropfte Malerei» und traf damit exakt den Zeitgeist.
Alles schien möglich damals. Die künstlerische Aufbruchsstimmung war nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs weit verbreitet, viel weiter jedenfalls als in der Politik, die mit dem aufziehenden Kalten Krieg in einer Schockstarre verharrte. Pollock verkörperte wie kein anderer den Mut, die Grenzen der Konventionen zu sprengen. «Ist er der grösste zeitgenössische Künstler der Vereinigten Staaten?», fragte das «Life»-Magazin und schenkte ihm damit die Weihe internationaler Anerkennung.
Ein schwieriger Mensch mit Aggressionspotenzial
Jackson Pollock war ein schwieriger Mensch – ein «Borderliner», würde man heute sagen. Einer, mit dem keiner gut konnte, wenn er schlecht drauf war, und das war oft der Fall. Auch der Erfolg bekam Jackson Pollock schlecht. Zeit seines Erwachsenenlebens kämpfte er gegen seine Alkoholsucht, mit der grossen Anerkennung wandte er sich immer mehr der Flasche zu. Die vor zehn Jahren geschlossene «Cedar Tavern» im New Yorker Stadtteil Greenwich Village war seine Stammkneipe. Hier verkehrten die prominenten Modernisten der US-amerikanischen Kulturszene – von Malern wie Willem de Kooning und Mark Rothko bis hin zu Schriftstellern wie Allen Ginsberg oder Jack Kerouac. Pollock schuf sich auch in diesen Kreisen nicht nur Freunde, zumal er dazu neigte, Schlägereien anzuzetteln, wenn ihn gerade der Unmut plagte, was ebenfalls häufig passierte.
Ein Unfall beendete sein kurzes Leben
Mit den Jahren verlief seine Ehe mit Krasner zusehends stürmischer, zumal Pollock von der ehelichen Treue nicht sehr angetan war. Seine Frau verzog sich nach Paris, er pflegte seine Bekanntschaften. So kam es, dass Pollock im August 1956 betrunken auf einer Autofahrt mit seiner damaligen Freundin in einen Baum donnerte. Er starb sogleich, die Freundin überlebte, aber eine andere Beifahrerin fand ebenfalls den Tod. Jackson Pollocks Ende erschien seinen damaligen Zeitgenossen möglicherweise im Licht seines künstlerischen Werks – auf den ersten Blick völlig sinnlos. Erst nach und nach erschloss sich vielen die Wichtigkeit seiner Action-Paintings, auch wenn es bis heute unergiebig geblieben ist, darin eine Bedeutung zu suchen.
Der figurative Pollock
So, 2.10.–So, 22.1. Kunstmuseum Basel