Der strenge Dutt, die etwas zu grosse Brille, der knallige Lippenstift – all das trägt Isabelle Huppert im Film «La Syndicaliste» wie eine Rüstung vor sich her. Diesen Schutz braucht die oberste Gewerkschafterin, schliesslich hat sie sich gerade mit der französischen Atomlobby angelegt. Und die ist nicht gerade zimperlich. Zum Interview am Filmfestival Venedig 2022 erscheint Huppert im fast schon dezenten weissen Sakko.
Das Goldkettchen an ihrem Handgelenk vibriert, wenn die 70-jährige Französin ihre Worte mit kurzen, heftigen Gesten unterstreicht oder wenn sie mit den Schultern zuckt, was sie immer dann tut, wenn ihr eine Frage nicht genehm ist. Manchmal verzieht sie auch den Mund, aber nur so viel, dass es noch als spielerisches Understatement durchgehen könnte.
kulturtipp: In «La Syndicaliste» geht es um Machtmissbrauch auf Konzernebene. Wie ist das mit der Macht im Filmbusiness: Hilft es, wenn sich ein internationaler Star wie Sie für einen Film verpflichtet?
Isabelle Huppert: Ich glaube nicht, dass eine Schauspielerin so viel Macht besitzt – ich bestimmt nicht. Eine bekannte Darstellerin kann schon bis zu einem gewissen Grad hilfreich sein. Aber Rückschläge, die es in diesem Business immer gibt, kann sie nicht verhindern.
Die Rolle der hartnäckigen Gewerkschafterin Maureen Kearney wurde Ihnen auf den Leib geschrieben. Sie haben diese Figur, welche in ihrem eigenen Haus überfallen wird, sehr ambivalent angelegt …
Es ging mir einerseits darum, Kearney in ihrem Kampf gegen die Atomlobby glaubhaft wirken zu lassen. Andererseits wollte ich auch den Verdacht zulassen, dass sie den Überfall auf sich selbst in ihrem Haus inszeniert haben könnte.
Haben Sie Maureen Kearney persönlich getroffen?
Ja, das war sehr inspirierend für die Konstruktion dieser Figur. Die immer gleiche Frisur, der eigenartige Look – das habe ich vollständig kopiert. Nur mussten wir aufpassen, dass es noch natürlich wirkt. Nichts ist schlimmer als eine Maske, die man als solche erkennen kann.
Hatten Sie Fragen an diese Figur?
Maureen besteht ja nur aus Fragen! Aber je länger man ihr zuschaut, desto mehr begreift man, dass sie eine Feministin ist, ohne es zu wissen. Sie ist politisch, ohne es zu wissen. Sie hat ein soziales Bewusstsein und kämpft als Gewerkschafterin für 50'000 Arbeitsplätze im grössten französischen Atomkonzern. Eine tragische Figur. Wie eine Antigone – allein im Kampf gegen alle.
Sind Whistleblowerinnen wie Maureen Kearney die Heldinnen unserer Zeit?
Es ist immer gut, wenn Mauscheleien ans Licht kommen, und Maureen hat vieles öffentlich gemacht. Wenn sie nicht gewesen wäre …
Es ist nicht das erste Mal, dass Sie eine Figur verkörpern, die gegen die Justiz kämpft. Treibt Sie der politische Aspekt in Ihrer Arbeit an?
Nein.
Sondern?
Ein guter Film kann Themen zum Schwingen bringen. Deshalb ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen, statt auf Antworten zu hoffen, die man dann doch nicht kriegt.
Macht es einen Unterschied, ob Sie dabei eine reale oder eine fiktive Figur verkörpern?
Eine Filmfigur ist immer fiktiv. Das wiederum kann man nutzen, um eine imaginäre Welt um sie herum zu bauen.
Lassen Sie sich dabei von anderen Filmen leiten – zum Beispiel von Ihrer ähnlichen Rolle in «Elle» von Paul Verhoeven?
Nein, das ist nicht meine Art. Ich spiele einfach. Es ist ein bisschen wie bei Maureen: Sie nimmt nichts vorweg. Es passiert einfach, ohne dass sie damit gerechnet hat. Das macht den Film ja so spannend. Es ist, als würde sie durch einen dunklen Wald gehen, der immer dunkler und dunkler wird, je weiter sie hineingeht.
Man sagt, Sie würden am Set nicht gerne proben. Warum nicht?
Natürlich muss man proben, um die richtigen Positionen und Markierungen zu treffen. Aber sonst? Die Magie passiert dann, wenn man es tut. Warum sollte man es vorher schon geschehen lassen?
Am Ende des Films schaut Maureen frontal in die Kamera. Das wirkt geheimnisvoll …
Demnach ist es mir gelungen (lacht). Wenn man in die Kamera schaut, ist es immer mysteriös. Das ist die Macht der Filmkamera, sie öffnet eine Million Möglichkeiten, was die Figur gerade denken könnte.
Ist diese Maureen Kearney noch geheimnisvoll für Sie?
Gute Frage. Ich will darauf aber nicht antworten, weil sie für mich jetzt filmisches Material ist.
Maureen ist eine Kämpferin. Gibt es etwas, wofür Sie sich mit aller Kraft einsetzen?
Hm, wofür setze ich mich ein? Da bin ich nicht sicher. Vermutlich habe ich das Glück, nicht kämpfen zu müssen.
Anders gefragt: Was wäre Ihnen so wichtig, dass Sie dafür einstehen würden?
Nichts, was ich öffentlich machen möchte. Mein Kino in Paris vielleicht, aber das wird von meinem Sohn geführt. Ich stehe also zu meinem Sohn.
Der deutsche Schauspieler Lars Eidinger, mit dem Sie in «About Joan» vor der Kamera standen, sagte, Sie seien der «Inbegriff der Schauspielerei».
Oh, das ist viel Lob auf meinen kleinen Schultern.
Sehen Sie sich denn selber als Vorbild?
Nein, auf keinen Fall. Aber … vielleicht sollte ich?
La Syndicaliste
Regie: Jean-Paul Salomé F/D 2022, 121 Minuten
Ab Do, 8.6., im Kino