kulturtipp: Frau Faust, Sie spielen am viel beachteten Eröffnungsabend von Lucerne Festival Mozarts 5. Violinkonzert. Ich frage mich: Könnte ich Sie nachts um 3 Uhr wecken, «Köchelverzeichnis 219» sagen, und Sie würden das Werk glänzend spielen?
Isabelle Faust: Das ist sicher eines von diesen Stücken, die ich extrem gut kenne. Immerhin: So viele hat man davon nicht in den Fingern. Das 5. Mozart-Konzert spiele ich dennoch immer wieder sehr gerne. Aber ich merke, dass ich bisweilen bei den Orchestern auf die Klingel drücken muss: «Schaut mal, wie schön, wie spannend diese Musik ist!»
Wie drücken Sie bei denen «auf die Klingel»?
Ich versuche, sehr lebendig zu proben. Ich will deutlich machen, wie sehr es mir auf den Dialog ankommt, wie sehr Sologeige und Orchester ineinandergreifen. Ich gebe damit durch, dass ich als Solistin nicht alleine dastehen und meinen Part erledigen will. Mozart verlangt Wachheit, Leichtigkeit und Flexibilität.
Aber da steht ja auch noch ein Dirigent! Umkurven Sie ihn?
Ich habe in den letzten Jahren sehr viele gute Erfahrungen mit meinem direkten Herangehen ans Orchester gemacht. Ich tat das aber nicht, um den Dirigenten auszuklammern – um Gottes Willen! Suche ich den Orchesterkontakt, habe ich das Gefühl, dass sich die Musiker von mir ernst genommen fühlen und nicht nur auf den Dirigenten schauen. Nur wenn sich Orchester und Solist zuhören, können sie ihre Phrasierungen angleichen.
In Luzern steht nicht irgendein Dirigent, sondern Claudio Abbado, mit dem Sie eben eine CD eingespielt haben. Sie schildern das Glück dieser Zusammenarbeit im CD-Heft in den höchsten Tönen. Auch Ihre Kollegen schwärmen von Abbado. Aber keiner kann wirklich erklären, was dieses Glück ausmacht. Was ist es denn?
Das ist eine Frage, die auch ich mir selber oft stelle – und den Orchesterkollegen. Es bleibt ein Mysterium. Mich beeindruckt vor allem Abbados Lust am Weitersuchen – er ist nie angekommen. Claudio Abbado bereitet sich auch für eine Mahler-Sinfonie, die er schon zwanzig Mal dirigiert hat, monatelang vor – und zwar Tag und Nacht. Seine Arbeiten sind voller Fragilität - er ist nie am Punkt, wo er weiss, wie es geht.
Was heisst das für eine Solistin?
Er akzeptiert, dass man nie auf festem Boden steht. Er will die Magie der Werke jedes Mal neu einfangen. Auf der Bühne soll man nicht wissen, was heute passiert.
Normalerweise drängen Dirigenten zum Gegenteil.
Ja, das stimmt. Aber man muss auch sagen, dass Abbado nur noch dirigiert, wenn alles um ihn herum stimmt. Das kann sich nicht jeder leisten. Er ist mit jenen zusammen, die ihn zu 150 Prozent unterstützen! Jeder versteht seine Augen- und Handgestik. Ein Idealfall – so besteht die Chance, dass etwas Besonders entsteht. Er holt sich Menschen, die zu ihm passen. Offensichtlich scheine ich da, jedenfalls im Augenblick, meinen kleinen Platz gefunden zu haben. Ein Wunder, das ich geniesse, solange es anhält.
Gab er Ihnen viele Freiheiten?
Ja. Er ist nicht jemand, der alles ausformt. Er lässt die Musik entstehen. Er hat es gerne, wenn der Solist nicht darauf wartet, mitgenommen zu werden, sondern selbst Impulse gibt. Aber das ist auch nur die halbe Wahrheit: Wenn er merkt, dass diese Impulse kommen, dann übernimmt er das Ruder, und man braucht sich nur noch dranzuhängen. Es ist ein sehr spezielles Gefühl, anders als bei jedem anderen Dirigenten.
Weltberühmte Solisten wie Kolja Blacher oder Sabine Meyer machen beim Luzerner Festspielorchester mit. Hätten Sie Lust, im Sommer in Luzern an einem der ersten Pulte mitzutun und Mahlers Achte spielen?
Ich würde das wahnsinnig gerne mal machen, aber ich weiss nicht, ob ich jeden Sommer dafür hergeben würde. Der Sommer ist eigentlich für meine Familie reserviert.
Bei gewöhnlichen Konzerten hört man Sie für 70 Franken, in Luzern kostet der Parkettplatz bei der Eröffnung 270 Franken. Spielen Sie bei einem solchen Prestigeanlass anders?
Wenn alle einen Hit aus einem Abend machen wollen – vielleicht ist auch noch das Fernsehen oder das Radio mit dabei –, steigen die Erwartungen extrem. Es ist nicht meine Lieblingssituation, auch wenn ich es nicht missen möchte und stolz bin, diese Eröffnung zu spielen. Aber meine nervliche Anspannung ist grösser. Ich kann das nicht ganz abstellen, auch wenn ich seit Jahrzehnten dagegen arbeite. Auch für die Orchestermusiker ist es nicht einfach, etwa in Berlin, wenn beim dritten Abo-Konzert jeweils die Kameras für die Live-Übertragung ins Internet laufen. Deswegen mag ich auch die kleineren, intimeren Konzerte sehr: Da kann man sich etwas entspannter und freier ausdrücken.
[CD]
Beethoven/Berg
Mozart Orchestra und Claudio Abbado
(Harmonia Mundi 2012).
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[CD]
Brahms
Violinkonzert/Sextett Nr. 2
Mahler Chamber Orchestra Leitung:
Daniel Harding
(Harmonia Mundi 2011).
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[CD]
Bach
Partiten und Sonaten
(Harmonia Mundi 2011).
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