Die stilistische Vielfalt ist das Markenzeichen von Isa Wiss. Die 34-jährige gebürtige Winterthurerin tummelt sich in unterschiedlichen musikalischen Gefilden. «Ich bin ein sehr neugieriger Mensch», erklärt sie ihre breite Palette stimmlicher Ausdrucksformen. «Mit nur einem Stil wird es mir langweilig. Ich will meine Wachheit bewahren.» Mit Ungeduld habe das nichts zu tun.
Wie das praktisch läuft, erläutert sie an einem Beispiel. Soeben sei sie von einer Tour mit dem Zurich Jazz Orchestra zurückgekommen, und schon am Morgen nach der Rückkehr war Probe mit dem Albin-Brun-Trio.
Kontrastreich
Das Jazz Orchestra ist ein mächtiger Klangkörper, eine Bigband, mit der Isa Wiss jüngst das Album «Song» eingespielt hat. Sie musste ausnotierte Musik singen und sich im Gefüge der Bigband stimmlich präzise bewegen: «Da bin ich stark eingebettet in die Arrangements.» Es ist Pop im jazzigen Gewand mit Stücken von Cyndi Lauper, Prince, Bee Gees, Police, Rolling Stones.
Anderntags das Kontrastprogramm: «Bei Albin Brun hiess es: Jetzt schauen wir mal, wie es geht. Als die drei mit Akkordeon, Schwyzerörgeli und Kontrabass anfingen, hab ich das Schlagzeug gemacht.» Mit der Stimme notabene. So was könne sie «einfach» machen, so würde es «frisch» tönen. Und auch umgekehrt: «Wenn ich zurück in die Bigband gehe, bin ich da wieder frisch.»
Alles hat Platz
Das «Trio plus»-Programm ist auf Anfrage entstanden, für Auftritte am Volksmusikfestival in Altdorf UR und in abgeänderter Version am Stimmenfestival in Ettiswil LU. Isa Wiss ist als Improvisatorin dabei. Aber sie doppelt auch gesanglich Stimmen der Instrumente, oder sie wirkt perkussiv. Dazu kommen einige wenige Lieder. Alles hat Platz in dieser «Crossover»-Konstellation, wo Volksmusikalisches mit einer ungewöhnlichen Stimme zusammenkommt.
Loops, wo Stimmen vervielfacht und geschichtet werden, braucht Isa Wiss nicht – «Es ist alles Natur.» Wieder ist es die Neugier: «Was kann ich alles mit dem Instrument Stimme, ohne dass ich ein technisches Hilfsmittel dazu nehmen muss?» Sie finde es faszinierend, was die Stimme könne. Manchmal merke sie, dass sie an Grenzen stosse. Doch auch hier gilt: die Neugier hochhalten, spielfreudig sein – und «einfach machen». Jemand Besonderes ist ihr übrigens stimmlich in einer Sache voraus. Es ist ihre achtmonatige Tochter. «Ich kann nicht gurren wie Tauben. Meine Tochter kann das wunderbar.»
Isa Wiss hat eine seriöse gesangliche Ausbildung hinter sich. Den Anfang machte die Klassik mit Stunden an der Musikschule des Konservatoriums in Winterthur. Nach der Matura ging es an die Jazzschule in Bern. An der Hochschule in Luzern hat sie weiterstudiert und ihren Abschluss gemacht. Seit 2005 ist sie «Musikerin MH, Musikpädagogik Jazz (Gesang)», wie der Titel offiziell heisst. Von Luzern aus, wo sie geblieben ist, verfolgt sie ihre zahlreichen Projekte.
Kann man Improvisation üben? Was man üben könne, erklärt Isa Wiss, seien die Klänge. «Wie man sie hervorruft und kontrolliert.» Üben könne man auch das Zusammenspiel mit Musikern. Das fängt dort an, wo man das Verständnis füreinander und das Schaffen einer gemeinsamen Klangsprache entwickelt. Bei sogenannten Ad-hoc-Sachen könne man voll ins Schwarze treffen. «Bei der Improvisation bin ich manchmal total wach, schnell und habe Ideen. Manchmal packt mich die Angst, ich sei uninspiriert, und mir kommt nichts in den Sinn.» Meistens klappt es. Und das Unmittelbare, einfach auf die Bühne zu gehen und etwas zu machen, wird dann für Isa Wiss zu «etwas wahnsinnig Schönem».
Die Sängerin hat ihren Horizont in der Ferne erweitern können. Vier Monate lang weilte sie 2009 als Atelier-Stipendiatin in Chicago, wo es im Improvisationsbereich zu vielen musikalischen Begegnungen (inklusive CD-Einspielungen) kam. Diese Erfahrungen hätten ihr die Ohren neu geöffnet. «Ich konnte so etwas wie eine Selbstverständlichkeit in meinem Stimmgebrauch entwickeln», sagt sie im Rückblick. Sie habe gemerkt, dass das Improvisieren für sie nicht nur etwas Verspieltes sei, nicht einfach Ausprobieren bedeute. Sondern: «Es ist eine wichtige Seite von mir, die brauche ich, das gehört zu meiner musikalischen Tätigkeit.» Die Erkenntnis sei eine Befreiung gewesen: Sie sei mit ihrer Stimme auf einem Weg, der mit anderen Musikern funktioniere. Daheim, wo sie mehr oder weniger mit denselben Leuten zusammengespielt hat, konnte sie nie überprüfen, ob das «in diesem kleinen Luzern bleibt oder ob ich auch rauskönne».
Konzerte für Kinder
Isa Wiss möchte die Kinderkonzerte nicht missen, die sie in unterschiedlichen Besetzungen seit Jahren gibt. Dabei handelt es sich um keine Lieder à la Schtärneföifi oder Ohrewürm. Auch hier wird improvisiert, und die Kinder würden fasziniert in diese ungewohnte Musik eintauchen – mit unverbrauchtem Zugang. Und Isa Wiss schwärmt: «Da können Kinder etwa auf den Klang eines Instruments reagieren, woraus ein improvisiertes Lied entsteht oder eine spontane Geschichte.»
[CD]
Zurich Jazz
Orchestra
Feat. Isa Wiss
Song
(Jazz’n’Arts 2012).
[/CD]
[DVD]
«Umarete Wa Mita Keredo» –
(«Ich wurde geboren, aber …»
Regie: Yasujiro Ozu/Japan 1932
Stummfilm mit Musik von
Isa Wiss (Stimme)
100 Minuten
(Trigon Film 2008).
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