In Joseph Conrads berühmter Erzählung «Das Herz der Finsternis» (1899) reist Protagonist Marlow den Kongo-Fluss hoch, tief ins Innere des afrikanischen Kontinents. Dort trifft er auf den Handelsagenten Kurtz, der so menschenverachtend wie machtgierig mit den Eingeborenen umspringt. Dem Schrecken des Fremden ausgeliefert, stürzt er zunehmend in seine eigenen Abgründe und wird wahnsinnig.
Der Filmemacher Francis Ford Coppola hat diesen Stoff 1979 in seinem Klassiker «Apocalypse Now» aufgenommen. Dort ist es Captain Willard, der in Vietnam den Auftrag erhält, den abtrünnigen Colonel Kurtz (verkörpert von Marlon Brando) ausfindig zu machen – und zu liquidieren. Dieser hat sich mit einer Schar ihm ergebener Einheimischer ins Grenzgebiet von Kambodscha zurückgezogen, wo er ein gespenstisches Regime führt.
Stachel des Schreckens
Nun geht der Stoff in eine neue Runde. «Die lächerliche Finsternis» ist ein Hörspiel, das der deutsche Dramatiker Wolfram Lotz 2013 geschrieben hat. Es wird am So, 22.2., erstmals gesendet, ist aber bereits sechsmal an renommierten deutschsprachigen Bühnen inszeniert worden. Im September 2014 wurde «Die lächerliche Finsternis» am Akademietheater Wien uraufgeführt. Die Schweizer Erstaufführung findet nun im UG des Luzerner Theaters statt.
Wolfram Lotz verdichtet die Grundthematik von Conrad und Coppola auf eine surreal anmutende Weise, ohne ihr den Stachel des Schreckens zu nehmen. Bei ihm sind es zwei deutsche Soldaten, die den Auftrag erhalten, im Innern von Afghanistan einen durchgedrehten Oberstleutnant zu suchen, der seine Kameraden getötet haben soll. Mit dem Boot begeben sie sich auf die Reise ins Zentrum der Finsternis.
Schnell wird klar, dass wir uns in der globalisierten Welt von heute befinden. Doch die Szenerien scheinen völlig durcheinander geschüttelt: Der Hindukusch ist jetzt ein Fluss. Afghanistan ist voller Regenwälder. Schon im Prolog begegnet man einem Fischer, der an der Hochschule von Mogadischu ein Diplomstudium der Piraterie absolviert hat. Auf ihrer Flussfahrt begegnen die Soldaten italienischen Blauhelmsoldaten, die das für die Mobilfunkindustrie wichtige Coltan ernten, das dort auf Feldern wächst. Weiter im Landesinnern treffen sie auf Reverend Carter. Der Missionar ist gekommen, die Moslems zu bekehren, weil er findet, die verhüllten Frauen sollen doch ihre schönen Körper zeigen. Ein weiterer Einheimischer entpuppt sich als Balkanflüchtling Stojković. Er lebt in seinem winzigen Kanu und handelt mit Toastbrot, Investmentfonds, Kleintierstreu, Playstation-Spielen und anderem.
Verstörend und absurd
Die Krisenherde der heutigen Welt werden in diesem Stück zu einer einzigen Realität des Grauens zusammengemixt, in der nicht minder verstörende Figuren mit ihren absurden Geschichten auftauchen. «Auch wenn die Dinge eigentlich nicht zusammenzupassen scheinen, ergibt sich eine Geschichte, mit der man mitleben und sich emotional und intellektuell verbinden kann», sagt Andreas Hermann, der das Stück am Luzerner Theater inszeniert.
Wenn die westlichen Protagonisten in die Wildnis der Fremde aufbrechen, werden sie unweigerlich auf ihre eigenen Untiefen und Abgründe zurückgeworfen: Das ist die Thematik sowohl bei Conrad wie bei Coppola. Wolfram Lotz greift das Sujet auf und verdichtet es zu einem ironisch zugespitzten, irrwitzigen Panorama weltweiter Krisen und Konflikte der letzten Jahre. Regisseur Hermann: «Seine Figuren erzählen stets ihre eigene, subjektive Sicht der Dinge, die wir aus medialen Informationen und Bildern der Kriegsberichterstattung zu kennen meinen und die sich schliesslich zu einem diffusen Weltbild verdichten.»
Lotz verdeutliche, dass wir von der eigentlichen Realität in den Krisengebieten trotz Medien keine Ahnung hätten, sagt Hermann. Wir konstruierten uns die Welt aus eigenen Erfahrungen. «Deswegen landen wir am Ende immer bei uns selber, bei unserer eigenen Irritation, in unserer eigenen Finsternis.» Dieses Missverständnis ist die «Lächerlichkeit» im Titel des Stücks.
Nah am Geschehen
Bühnenbildnerin Viola Valsesia hat für die kleine UG-Bühne des Luzerner Theaters für die gesamte Spielzeit eine einheitliche Raumsituation kreiert, in der vier Produktionen gezeigt werden. Die Spielfläche ist ein langgezogenes Rechteck, rundherum sitzen die Zuschauer, Stuhl neben Stuhl, in einer einzigen Reihe. Für den Regisseur ist das eine «Glückssituation». «Sie bewahrt uns davor, in herkömmlicher Guckkasten-Manier ein Illusionstheater auffahren zu wollen.» Stattdessen wird das Publikum, ganz nah am Geschehen, die Direktheit der Szenerien und ihre Dialoge umso nachhaltiger spüren.
Der Text pendelt pausenlos zwischen Erzähler-Ebene und Spiel, in dem das Erzählte direkt umgesetzt wird. Diese «schillernde Konstruktion» habe ihn fasziniert, sagt Hermann. Auch der Text begeistert ihn, da er aufgrund seines Hörspielcharakters im Auditiven verankert sei, mit Erzählerperspektiven und direkter Rede spiele und das Geschehen sprachlich bebildere. «Das ermöglicht viele Freiheiten für eine visuelle Umsetzung auf der Bühne, ein fantasievolles Spiel und das Ausprobieren unterschiedlicher theatraler Mittel und Erzählweisen.»
Andreas Hermann
Andreas Hermann ist seit 2007 Leiter Schauspiel am Luzerner Theater. Zuletzt brachte er Bertolt Brechts «Der gute Mensch von Sezuan» sowie «The Black Rider» von William S. Burroughs, Tom Waits und Robert Wilson auf die Bühne. Der in Zürich geborene Regisseur arbeitete nach seinem Studium an der Schauspiel-Akademie Zürich als Schauspieler und Regisseur am Städtebundtheater Biel-Solothurn, am Stadttheater Bern und am Staatstheater Mainz. In Sachsen-Anhalt baute er das soziokulturelle Zentrum «Kultur-Schloss-Rossla» mit eigenem Theaterfestival auf. Hermann ist auch Mitbegründer des Vereins «spielart – werkstatt für sprache und bewegung», einer Plattform für Kulturvermittlung.
Die lächerliche Finsternis
Premiere: Do, 5.3., 20.00 Luzerner Theater