Irrfahrt einer Matratze
In seinem kleinen, feinen Episodenroman «Aus dem Leben einer Matratze bester Machart» schickt Tim Krohn eine Schlafunterlage auf eine Reise quer durch das Europa des 20. Jahrhunderts.
Inhalt
Kulturtipp 12/2014
Letzte Aktualisierung:
28.05.2014
Babina Cathomen
Mit einem einfachen literarischen Kniff erzählt Tim Krohn Geschichten aus den umwälzenden Jahrzehnten von 1935 bis 1992: Er lässt eine Matratze Zeuge besonderer Momente unterschiedlicher Menschen werden. So fängt Krohn wie nebenbei das Lebensgefühl verschiedener Generationen ein. Jedes Kapitel steht im Zeichen eines Jahrgangs und stellt mit dem durchgehenden Motiv der Matratze eine Verknüpfung zu den vorherigen Geschichten her.
Die heissblütige Lie...
Mit einem einfachen literarischen Kniff erzählt Tim Krohn Geschichten aus den umwälzenden Jahrzehnten von 1935 bis 1992: Er lässt eine Matratze Zeuge besonderer Momente unterschiedlicher Menschen werden. So fängt Krohn wie nebenbei das Lebensgefühl verschiedener Generationen ein. Jedes Kapitel steht im Zeichen eines Jahrgangs und stellt mit dem durchgehenden Motiv der Matratze eine Verknüpfung zu den vorherigen Geschichten her.
Die heissblütige Liebesnacht eines frisch vermählten Paares am Fuss des Monte Verità steht am Anfang. Das junge Glück des Juden Immanuel Wassermann und der Sizilianerin Gioia währt allerdings nicht lange, denn im Jahr 1935 wartet in Berlin bereits die Gestapo auf den Verliebten. Doch bis die Leser von Immanuels Schicksal erfahren, hat die Matratze bereits zigmal ihren Besitzer gewechselt: Sie hat zwei Kindern in Schaffhausen als Schutzhülle in Bombennächten gedient und einem verarmten Paar nach Kriegsende zur ersehnten Ruhe verholfen. In den wilden 70ern ist sie auf dem Dach eines Deux-Chevaux Richtung Süden gereist oder hat einem Schiffbrüchigen auf dem Meer als Floss und letzte Traumstätte gedient. Erst im letzten Kapitel schliesst sich der Kreis: 1992 geht die inzwischen völlig zerschlissene Qualitätsmatratze an einem Strand in Frankreich in Flammen auf. Und Krohn legt offen, wie aus dem ehemaligen jüdischen Optimisten Immanuel ein kriegsversehrter, gebrochener Mann wurde.
In wenigen Strichen entwirft der 49-jährige Glarner Schriftsteller mit deutschen Wurzeln ein Jahrhundert-Panorama; er erzählt in leichtem, ironisch-melancholischem Ton von den Dramen und den Höhenflügen im Leben. Viel zu schnell ist der Leser am Ende der Matratzenreise angelangt und würde gerne mehr über das Schicksal der einzelnen Figuren erfahren.
Tim Krohn
«Aus dem Leben einer Matratze bester Machart»
128 Seiten
(Galiani 2014).