Im März in Graz. Und nun in Zürich: Zum zweiten Mal verhindert die Pandemie eine Oper, an der Irina Spreckelmeyer mitgearbeitet hat. Erneut muss sie kurz vor der Premiere, dem Höhepunkt ihrer Arbeit, alles auf Eis legen – nach unzähligen Stunden Recherche, Ausklügeln, Austausch, Anproben und Abändern. «Die Energie geht kontinuierlich nach oben, und wenn sie ganz oben ist, kommt ein plötzlicher Bruch und Schnitt – alle sind wie gelähmt», beschreibt die 29-Jährige die Reaktion im Team am Opernhaus Zürich, nachdem der Bundesrat am 28. Oktober verschärfte Massnahmen bekannt gab. Neu sind noch 50 Personen bei Veranstaltungen zugelassen.
Für grössere Häuser wie das Opernhaus bedeutet dies faktisch die Schliessung. «Ja, wir wollen spielen», betont man in einer Stellungnahme, doch ohne Eintritte sei dies nicht zu stemmen. Kurzerhand wurde der Spielbetrieb eingestellt. Und Irina Spreckelmeyer? Die Kostümbildnerin ist besorgt. Um ihre Arbeit – und um ihre Existenz. Sie wird jeweils für einzelne Stücke engagiert, reist vom Zuhause in Hannover nach Hamburg, Bielefeld, Berlin oder eben Zürich. Werden Produktionen abgesagt, bleibt ihr nur zu hoffen, dass man Kulanz zeigt und sie trotzdem entschädigt.
Digital funktioniert das kreative Schaffen nicht
«Schlimm finde ich, dass es bisher keine adäquate Auffangsituation für uns freischaffende Künstlerinnen gibt; wir rutschen durchs System», sagt Spreckelmeyer über die Realität, welche sie in ihrer Heimat Deutschland erwartet. Das Einzige, was Theaterschaffenden, Musikern und Künstlerinnen im Moment bleibe, sei, Arbeitslosengeld zu beantragen. Die Kostümbildnerin aber ist nicht arbeitslos: Vielmehr werkelt sie bereits an Projekten, die in ein, zwei Jahren auf die Bühne kommen.
Auch neben konkreten Ausfällen droht eine düstere Zukunft: Theater- und Opernproduktionen, die verschoben werden, stehlen neuen Stücken den Platz. Freischaffenden brechen Aufträge weg – ihre Rücklagen müssen lange hinhalten. Und Spreckelmeyer ist gezwungen, ihre Prozesse zu überdenken: Das Kreieren, Diskutieren und Schaffen einer Ästhetik funktioniert kaum über digitale Wege. Mit Regisseurin Nadja Loschky etwa, die auch «Alice im Wunderland» inszeniert, traf sie als Vorbereitung zur Oper «Die Passagierin» die Autorin und Auschwitz-Überlebende Zofia Posmysz zum Interview.
«Recherche ist mannigfaltig», sagt sie über ihre instinktive Einarbeitung, die aktuell kaum möglich ist. An deren Anfang steht immer die Musik, die sie auch mal im ICE über Kopfhörer geniesst. Hoffentlich bald unterwegs nach Zürich, zur verschobenen Premiere von «Alice im Wunderland». Bewusst hat sie bei ihrer ersten Kinderoper keine Masken in die aufwendigen und teils raumgreifenden Kostüme integriert. Die Kinder sollen Corona für 90 Minuten vergessen dürfen.
Irina Spreckelmeyers Kulturtipps
Buch
Tupoka Ogette: exit Racism (Unrast Verlag 2017)
«Im ersten Lockdown setzte ich mich intensiv mit ‹Black Lives Matter› auseinander. Jedem, der zur weissen Mehrheitsgesellschaft gehört, kann ich ‹exit Racism› nur ans Herz legen.»
Film
Luca Guadagnino:
Call Me By Your Name
«Der Film erinnert mich an eine unbeschwerte Vor-Corona-Zeit und den Sommer. Die Schönheit und dieses Begehren zweier Männer interessieren mich stark.»
Netflix-Serie
Maria Schrader: Unorthodox
«Die Serie über eine junge Frau, die aus der jüdisch-orthodoxen Gemeinde ausbricht, ist bereits tausendfach empfohlen. Zu Recht: Spannende Gesichter, tolle Geschichte.»