kulturtipp: Wie gross ist Ihr Lampenfieber vor dem berüchtigten «Wettlesen»?
Dana Grigorcea: Es überwiegt die Freude. Das Lampenfieber kommt vielleicht noch, aber die Vorgeschichte zu diesem Auftritt war so lange, dass ich ihm gelassen entgegensehe.
Sie wurden von der Schweizer Jurorin Hildegard E. Keller eingeladen. Waren Sie überrascht?
Als Hildegard anrief, war ich mit meinen Kindern im Auto unterwegs. Ich war so beglückt und verwirrt, dass ich kurze Zeit später geblitzt wurde. Die Busse war sehr teuer – ich muss also unbedingt einen Preis gewinnen in Klagenfurt …!
Welche Beziehung haben Sie zu Ingeborg Bachmann?
Es gibt viele deutschsprachige Autoren und Autorinnen, die mich direkt ansprechen. Darunter Bachmann. Sie wusste die Grenzen der Sprache auszureizen. Die Freiräume, die sie ihren Lesern lässt, haben mich inspiriert.
Im August erscheint Ihr neuer Roman «Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit». Werden Sie in Klagenfurt daraus vorlesen?
Ja, einen Auszug. Mehr darf ich nicht verraten.
Warum nicht?
Die Wettbewerbsrichtlinien sind streng gefasst.
Ihr Erstling «Baba Rada» war ein Schelminnenroman. Was erwartet uns nun?
«Baba Rada» ist ein komisches Buch über die Klaustrophobie und bei aller Fantastik autobiografisch gefärbt. Ich bin ja im diktatorischen Rumänien aufgewachsen. Nun schreibe ich noch näher an der eigenen Biografie und thematisiere meine Generation, die sich mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sieht, etwa die Zivilgesellschaft in Rumänien zu etablieren. Global gesehen stellen sich unserer Generation Fragen nach Engagement und Ethik, die sich mit dem Streben nach privatem Glück reiben können. Es ist auch ein Stadtroman über das heutige Bukarest, und Zürich spielt darin eine wichtige Rolle.
Zwischen Bukarest und Zürich haben Sie in vielen anderen Städten gelebt.
Meine Studien und beruflichen Engagements führten mich nach Wien, Strassburg, Berlin, Bonn, Brüssel, Gent …
Wo fühlen Sie sich heute zu Hause?
In der Schweiz, in Zürich, da, wo mein Verlag ist (lacht).
Wie sind Sie zur deutschen Sprache gekommen?
Ich besuchte in Bukarest die Deutsche Schule, weil man in der rumänischen Schule nur nach der Ideologie Ceausescus erzogen wurde. Das war für meine Familie ein Gräuel. Mein deutsches Abitur öffnete mir die Türen nach Europa. Ich studierte dann Germanistik und Niederlandistik.
Vor acht Jahren kamen Sie in die Schweiz. Haben Sie hier entschieden, auf Deutsch zu schreiben?
Nein, das war viel früher. Ich habe mit Kurzgeschichten auf Rumänisch debütiert. Als ich in Wien lebte, begann ich, auf Deutsch zu schreiben. Das war ein Befreiungsschlag, weil ich dadurch zu meiner eigenen Literatur fand. Solange ich auf Rumänisch schrieb, war ich eine Art Bauchrednerin. Um die Ceausescu-Zeit innerlich zu annullieren, schrieb ich – wie andere auch – in der literarischen Sprache früherer Zeiten. Bald empfand ich das aber als antiquiert.
Warum wählten Sie gerade Deutsch?
Das war keine bewusste Entscheidung. Natürlich hat meine Liebe zur deutschen Literatur eine Rolle gespielt. Und ich mag die syntaktische Biegsamkeit des Deutschen.
Werden Ihre Bücher ins Rumänische übersetzt?
Bis jetzt nicht. Vereinzelt werde ich als Autorin in der Diaspora wahrgenommen.
In Klagenfurt werden Sie die Schweiz vertreten.
Ich bin ja Schweizerin, lebe hier und habe den Schweizer Pass. Da mein Mann aus Glarus kommt, bin ich Glarnerin.
Kennen Sie Glarus?
Natürlich. Die Landsgemeinde ist ein Pflichttermin, und ich nehme mit unseren Kindern an der Fasnacht teil. Spass beiseite: Wir sind oft im Glarnerland.
Sie sind der rumänischen Klaustrophobie entflohen. Wie erleben Sie die Kleinräumigkeit und Enge der Schweiz?
Die Schweiz ist international, gerade auch in den Künsten. Und ihre geografische Kleinräumigkeit gefällt mir sehr. Es stimmt übrigens nicht, dass man einem Verein beitreten muss, um Leute kennenzulernen. Das geschieht von alleine.
Dana Grigorcea
Geboren 1979 in Bukarest, hat Dana Grigorcea Germanistik und Niederlandistik studiert. Es folgten Studien der Theaterregie in Gent (B) und des Journalismus in Krems (A). Grigorcea arbeitete bei der Zeitung «Kurier» in Wien, beim Radiosender Deutsche Welle in Bonn und beim TV-Sender Arte in Strassburg. Seit 2007 lebt sie mit Mann und zwei Kindern in Zürich. Für ihr Romandebüt «Baba Rada. Das Leben ist vergänglich wie die Kopfhaare» (2011) ist sie mehrfach ausgezeichnet worden. Am 19.8. erscheint ihr zweiter Roman «Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit» im Zürcher Dörlemann Verlag.
Ingeborg-Bachmann-Preis
Grosse Schweizer Delegation
Am 39. Ingeborg-Bachmann-Preis werden ab dem 2. Juli 14 Autorinnen und Autoren lesen. Aus der Schweiz eingeladen sind nebst Dana Grigorcea Nora Gomringer, Monique Schwitter, Jürg Halter und Tim Krohn. Mit Hildegard E. Keller und Juri Steiner ist die Schweiz auch in der Jury gut vertreten. Am So, 5.7., werden ab 11.00 die Preise verliehen.
Lesungen, Diskussionen und Preisvergaben werden vom Do, 2.7.–So, 5.7., jeweils ab 10.00, live auf 3sat übertragen.
www.bachmannpreis.eu