Eigentlich ist alles wie zu Hause, nur besser. Ebba, Tomas und ihre Kinder Vera und Harry sind für fünf Tage aus Schweden in die französischen Alpen zum Skifahren gereist. Der Schnee ist perfekt, die Alpenluft frisch, das Appartementhaus riesig und komfortabel. Als die Kleinfamilie am ersten Ferienmorgen vor dem grossen Badezimmerspiegel antritt und die elektrischen Zahnbürsten synchron in den Mäuler kreisen lässt, ist ihre kleine Welt in Ordnung.
Das Schicksal donnert am zweiten Ferientag in Form einer riesigen Lawine heran – doch es schlägt nicht zu. Die Restaurantterrasse, auf der die vier gerade die ersten Bissen des Mittagessens auf der Gabel haben, versinkt zwar in einer dichten Schneestaubwolke, doch niemand nimmt physischen Schaden. Psychisch aber ist die Familie zerrüttet. Die Kinder schliessen sich in ihrem Zimmer ein, Ebba steht unter Schock. Grund dafür ist weniger die Lawine als das Verhalten von Tomas. Als auf der Terrasse Panik ausbrach, griff er nach seinem Handy und rannte davon. «Du hast uns alleine gelassen», wirft ihm Ebba am Abend fassungslos vor. Darauf Tomas: «Das stimmt nicht.»
Urschrei-Therapie
Die restlichen Tage ihres Kurzurlaubes verbringen Ebba und Tomas damit, sich auf eine gemeinsame Wahrheit zu einigen. Ein aufreibender Prozess, an dem Zufallsbekannte und Freunde mitwirken – mittels Rollenspielen und Urschrei-Therapie im Tiefschnee. Zwar kommt die Wahrheit in Form eines Handyfilmchens an den Tag, die Entzweiung aber bleibt.
Ruben Östlund gelingt das Kunstwerk, diesen «Katastrophenfilm ohne Katastrophe», diese Geschichte ohne eigentliche Handlung auf dichte und spannende Art zu erzählen. Dies anhand einer fantastischen Bildsprache: Die Familie tanzt beim Zähneputzen eine Art Ballett; die nächtlich patrouillierenden Pistenfahrzeuge blinken adrett choreografiert über die Steilhänge, und die Liftanlagen scheinen die glitzernden Schneemassen zu liebkosen. Alles in kühlsachlicher Atmosphäre.
Diese mit klassischer Musik untermalten Bilder illustrieren die Absurdität der Situation, in welche die junge Familie geraten ist. Aber auch einen Zeitgeist, der eine solch plötzliche Zerrüttung zulässt. Ein weiterer Trumpf von Regisseur Östlund ist sein lakonischer Humor. Trotz ernster Thematik platziert er Bilder, Situationen und Dialoge, die sein Publikum lächeln, zuweilen lauthals lachen lassen.
Tolle Besetzung
Zudem hat Östlund seine Rollen mit fantastischen Schauspielern besetzt. Eine Spezialerwähnung verdienen Clara und Vincent Wettergren: die 11- und 8-jährigen Geschwister spielen die Filmkinder Vera und Harry so glaubhaft, dass man bei Harrys Wutausbruch und Veras Tränen mitleidet.
Eine kleine Schwäche ist dennoch anzukreiden: Wie seine Filmfamilie findet auch Regisseur Ruben Östlund keinen Ausweg aus der verfahrenen Geschichte. Die Schlusssequenz lässt einen ratlos zurück. Immerhin treffender als ein konstruiertes Happy End.
Turist – Force majeur
Regie: Ruben Östlund
Ab Do, 11.12., im Kino