Ewige Folter und Qual drohen den Sündern in der Hölle. Das behauptete zumindest der italienische Dichter Dante Alighieri Anfang 14. Jahrhundert in seinem «Inferno», dem ersten Teil seiner «Göttlichen Komödie». Habgierige schieben Felsbrocken vor sich her, Streitstifter werden von Teufeln zerhackt, im Sumpf zerfleischen sich die Zornigen, Gefrässige sitzen in der Kloake. Wahrlich kein Ort zum Verweilen. Doch wenn der 35-jährige Regisseur Thom Luz auf eine Reise ins Inferno einlädt, darf sich der Zuschauer im Theater Basel getrost auf das Wagnis einlassen – am Ende des Abends winkt die Aussicht auf das Paradies.
An die Hölle glaubt Luz nicht, Dantes Monumentalwerk liest er nicht aus religiöser Perspektive. «Allerdings glaube ich, dass der Mensch sehr gut ist im Erschaffen von höllischen Strukturen», sagt er. «In meiner Interpretation von Dantes ‹Inferno› erleben die Menschen in ewiger Wiederholung den schmerzvollsten Moment ihrer Biografie. Wenn man in die heutige Welt hinausschaut, kann man dieses Eingesperrtsein in eine sich stets wiederholende Geschichte ebenfalls erkennen.»
Dante Alighieri hat sich als eine der Hauptfiguren selbst in seine Geschichte hineingeschrieben, die in die drei Reiche der Toten führt – von der Hölle ins Fegefeuer bis ins Paradies. Der aus der Heimat vertriebene Autor befindet sich in einer Lebenskrise und irrt in einem finsteren Wald umher, bis aus dem Jenseits der verehrte römische Dichter Vergil auftaucht. Dieser zeigt ihm einen Ausweg und begleitet ihn auf seinem Weg durch die Hölle, wo Dante unter den Sündern auf zahlreiche historische und literarische Figuren wie Odysseus, Alexander den Grossen oder Kleopatra trifft.
In hilflosem Mitleid gefangen
Im über 700-jährigen Werk hat Luz ein «sehr zeitgenössisches Gefühl» entdeckt: die Empathie. Dante erfährt die Geschichten der Figuren, die in der Hölle schmoren, bleibt aber in hilflosem Mitleid gefangen – so wie es heute vielen angesichts der weltweiten kriegerischen Konflikte ergeht. «Das ist das Faszinierende an Kunstwerken von solcher Tiefe: In jeder Zeit offenbart es eine andere Bedeutung», sagt Luz.
Dem wortgewaltigen Werk nähert sich der vielfach ausgezeichnete Musiker und Regisseur, der sich auf das Kreieren von sphärischen Traumwelten versteht, auf unterschiedlichen Wegen. Am liebsten sind ihm die Umwege: «Sich in einem Werk mit all seinen doppelten Böden und Labyrinthen zu verirren, ist ein lustvoller Prozess.» In seiner Inszenierung unternimmt er einen Streifzug durch die verschiedenen Fassungen und Übersetzungen der «Göttlichen Komödie», begleitet von der Frage, ob es in dieser Version der Hölle auch Schleichwege und Notausgänge gibt.
Getrübte Sicht schärft die Sinne
Die Sprache ist dabei nur eines seiner theatralischen Mittel, fast noch wichtiger ist die Musik: Er hat aus den Unmengen von Vertonungen zum Dante-«Inferno» von Liszt bis Tschaikowsky einige Varianten ausgewählt. Nebst den Schauspielern werden vier Live-Musiker unter der Leitung von Mathias Weibel mit Cello, Geige, Gitarre, Harmonium oder Spinett auf die Jenseits-Reise führen. Denn der vor Ideen sprühende Künstler will die Zuschauer nicht nur intellektuell, sondern auch im Herzen und über das Ohr berühren.
Als Hintergrund für die luzsche Hölle wählt er ein Gleichnis: Seine Figuren wandeln durch eine Abstellkammer für alte Bühnenbilder, die auf die Verschrottung warten. «Die Figuren führen zwischen diesen Resten aus anderen Geschichten und Welten eine Gespensterexistenz.» So wie sie auch bei Dante von ihren Erinnerungen heimgesucht werden. Und eines darf im Universum von Thom Luz natürlich nicht fehlen: die Nebelmaschine. Die Sicht der Zuschauer ist dadurch getrübt, dafür sind die anderen Sinne umso schärfer. Und so ist das Publikum gerüstet, um den grossen Themen in der «Göttlichen Komödie» zu begegnen: Liebe, Macht, Ideale, Politik – und die Frage, was nach dem Tod passiert. Darauf wird Thom Luz auch in einer theatralen Installation im Mai eingehen, die als Gegenstück zum «Inferno» um das Paradies kreist.
Inferno
Premiere: Do, 19.1., 19.30
Theater Basel
Die Hölle von heute
Der US-amerikanische Schriftsteller Stephen King erschafft in seinen zahlreichen Romanen die moderne Unterwelt. Aktuell in seinem neuen Buch «Mind Control».
Ein junger Mann fühlt sich betrogen. Denn ein internationaler Konzern hat sein selbst geschriebenes Computerprogramm kopiert. Brady Hartsfield richtet deshalb in einem Einkaufs-zentrum ein Inferno an. Eine Poli-zistin schiesst ihn später invalid, und Hartsfield bleibt ans Bett gefesselt.
Eine Reihe von Selbstmorden beschäftigt die Polizei in der Folge. Nach und nach stellt sich heraus, dass jeder Suizid in Verbindung zum Einkaufsmarkt-Mörder steht. Aber wie kann dieser Mensch noch Unheil anrichten, wenn er ans Bett gefesselt ist?
Stephen King entwickelt in seinem neuen Roman «Mind Control» einmal mehr eine moderne Hölle, aus der es kein Entkommen gibt. Mit diesen Fantasien hat der Mann ein Vermögen angehäuft – unter anderem mit weltweiten Bestsellern wie «Es» oder «Shining», der Vorlage für Stanley Kubricks gleichnamigen Spielfilm.
Kings Grundprinzip ist einfach: Der wohlgeordnete bürgerliche Alltag ist nur scheinbar idyllisch. Hinter den Kulissen lauert das Fürchterliche. Es schlägt am liebsten dann zu, wenn man es am wenigsten erwartet, und bestraft die Menschen gnadenlos – ganz im Sinn des Italieners Dante Alighieri vor 700 Jahren.
Buch
Stephen King
«Mind Control» 526 Seiten (Heyne 2016).