Eugen Ruges autobiografisch grundierter Roman «In Zeiten des abnehmenden Lichts» von 2011 umspannt mehrere Jahrzehnte von Lebens- und politischer Geschichte zwischen 1952 und 2001. Der Film konzentriert sich kammerspielartig auf einen Tag: Der 1. Oktober 1989 in Berlin – der 90. Geburtstag von Wilhelm Powileit (Bruno Ganz), einem hohen Tier und verdienten Genossen. Die staatliche Zeitung «Neues Deutschland» würdigt ihn «nur» auf Seite 2. Zu Hause ist Wilhelm der Patriarch. Leicht scheint er schon im Dämmerzustand.
Powileit steckt sich das Parteiabzeichen ans Revers. Und schon können alle kommen. Die Blumengaben quittiert der alte Griesgram mit dem immer gleichen Spruch: «Bringt das Gemüse zum Friedhof.» Eher stur und steif geht es zu und her am grossen Geburtstag, ein Stelldichein mehrerer Generationen. Als Erzähler fungiert Wilhelms Stiefsohn Kurt (Sylvester Groth). Aber nicht nur die Familie ist da. Die Jungen Pioniere geben mit einem Partisanenlied ein Ständchen im Garten, der Abgeordnete eines Ministeriums überreicht dem Alten den Orden «Stern der Völkerfreundschaft in Gold».
Eine Welt, die bald untergeht
Nur Wilhelms Enkel Sascha ist nicht da, «er hat gerade erst rübergemacht» («er ist abgehauen»). Von Wilhelms Schwiegertochter Irina aus Russland wird man erfahren, ihr Sohn Sascha habe gesagt: «Wenn das Brot ausgeht, kann man Kartoffeln essen. Aber wenn die Ideen fehlen, was dann?»
Wilhelms Gattin hatte schon vorgewarnt: Der Alte repariere Sachen, «die nachher kaputt sind». Fürs grosse Geburtstagsbüffet wird der Ausziehtisch – er stammt noch aus Nazi-Zeiten – zurechtgerückt. Aus Sicherheitsgründen schlägt Wilhelm ein paar Nägel ins Holz. Wenig später kracht der voll beladeneTisch zusammen: Sinnbild für die Welt, die bald untergeht. Wilhelm ahnt, dass der 90. Geburtstag sein letzter sein wird. So wie der 40. Geburtstag der DDR. Er sagt es selber: «Ich bin ein bisschen plemplem. Aber nicht ganz: Ich sehe noch, wos langgeht, nämlich abwärts.»
Stoffe aus der Wendezeit werden nicht selten mit äusserer Komik oder als aufgedrehte Groteske inszeniert. Das ist hier nicht der Fall. Der bewährte Fernsehregisseur Matti Geschonneck geht bei seiner dritten Arbeit fürs Kino mit Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase und seinem Produktionsteam behutsam vor. Sinnvoll wird ein komplexes Geschehen reduziert und sorgfältig ausgestattet, die Figuren sind toll besetzt. Die Komik muss nicht aufgesetzt werden. Sie liegt in der Sache selber. Fein und melancholisch.
Der Roman zeigte noch das Jahrzehnte umspannende grosse Panorama. Dieses erscheint im Film konzentriert und spiegelt im Kleinen all dies wider: Individuum, Familie, Gesellschaft, Geschichte, Politik und Staat.
In Zeiten des abnehmenden Lichts
Regie: Matti Geschonneck
Ab Do, 17.8., im Kino