Den Hockeyhelm auf dem Kopf und die Hände in alten Skihandschuhen, düsten die ersten Teilnehmer in ihren kruden Seifenkisten den Berner Klösterlistutz runter, Mitte der 1980er, in der Anfangszeit der Grossen Berner Renntage. Von Mitgliedern der offenen Arbeit mit Kindern war das Seifenkistenrennen ins Leben gerufen worden. Heute sieht nicht nur die Ausrüstung der kleinen Rennfahrer professioneller aus, auch ihre Seifenkisten sind schnittiger geworden. Diesen Frühling wird das Rennen zum 34. Mal stattfinden, seit 2017 steht es gar auf der Liste der lebendigen Traditionen.
Im Jahr 2003 verabschiedete die Unesco, die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, ihr Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Eine Ergänzung zur monumentalen Liste des Weltkulturerbes, auf der etwa die Chinesische Mauer, Machu Picchu, der St. Galler Stiftsbezirk oder die Rhätische Bahn stehen. Die Schweiz unterschrieb den Unesco-Vertrag zum immateriellen Kulturerbe 2008. Damit verpflichtete sie sich, eine Liste über Traditionen und Feste, über Handwerk und Bräuche, Gesänge und Tänze zu führen. Seit der letzten Aktualisierung vor gut eineinhalb Jahren umfasst dieses Inventar 199 Einträge. Eine ordentliche Zahl. Zum Vergleich: Deutschlands Liste besteht derzeit aus 97 Einträgen. Geführt wird die Schweizer Liste vom Bundesamt für Kultur, das diese alle fünf Jahre aktualisiert. Die Vorschläge für neue Einträge werden von den kantonalen Kulturstellen eingereicht, über die Aufnahme entscheidet ein Expertengremium.
Identitätsstiftend und vermittelnd
Repräsentativität und Vielfalt stehen im Vordergrund, nicht die Vollständigkeit, wie Stefan Koslowski, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Kultur, sagt. Aufgenommen wer-den also Bräuche, die aktiv praktiziert werden und sich wandeln, die das grosse Spektrum von Identitäten in der Schweiz aufzeigen und zwischen den Generationen vermitteln. «Die Liste soll insbesondere das Bewusstsein für Formen des Kulturerbes erweitern, die nicht nur historische Bedeutung haben, sondern auch einen aktuellen Beitrag leisten zu unserem gesellschaftlichen Leben», betont Koslowski. Wie lange eine Tradition schon besteht, ist demnach zweitrangig. Als Faustregel schreibt das Bundesamt für Kultur zwei Generationen vor. Der Generationenbegriff sei jedoch nicht an eine fixe Zeitspanne gebunden, erklärt Koslowski, deshalb werde von Fall zu Fall entschieden. So existieren die Zürcher Techno-Kultur seit den frühen 1990er-Jahren, das Schneeskulpturenfest in La Chaux-de-Fonds seit Anfang des 20. Jahrhunderts und Mendrisios Prozessionen in der Karwoche seit Mitte des 17. Jahrhunderts.
Faszinierende Bandbreite
Die vollständige Liste der lebendigen Traditionen ist seit letztem Sommer auch auf einer Homepage des Bundes abrufbar – mit Beschreibung, Bild- und Videomaterial. Die Bandbreite der Einträge ist faszinierend: Sechseläuten, Fondue-Kultur und Grafik-Design, Alphorn, Jodel und Zürichs Wohnbaugenossenschaften. Vier Schweizer Bräuche haben es in den letzten drei Jahren auf die Unesco-Liste geschafft: Die Fête des Vignerons in Vevey, die Basler Fasnacht, der Lawinenschutz und die Kunst der Trockenmauern. In absehbarer Zukunft werden es sicherlich noch mehr sein. Was lebendige Traditionen betrifft, hat die Schweiz schliesslich einiges zu bieten.
Zahlen und Fakten
4Schweizer Bräuche wurden bisher ins Unesco-Inventar aufgenommen
12Weltkulturerbe-Einträge besitzt die Schweiz
199lebendige Traditionen umfasst die Liste des Bundesamtes für Kultur bisher
400Schweizer Produkte stehen auf der Liste