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Was wäre, wenn der sogenannte Morgenthau-Plan nach Ende des Zweiten Weltkriegs umgesetzt worden wäre? Dieser nach dem US-Finanzminister Henry Morgenthau benannte Entwurf beinhaltet die Umwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat nach dem Sieg der Alliierten. Genau dieses Szenario entwirft Christoph Ransmayr in seinem Roman «Morbus Kitahara». Im fiktiven, abgelegenen Dorf Moor kommt nach einem unbenannten grossen Krieg ein Umerziehungsplan zum Einsatz: Das Land soll deindustrialisiert, Schienen, Fabriken und Elektrizitätswerke demontiert werden. Die Bewohner werden gezwungen, regelmässig die grausamen Szenen nachzuspielen, die sich während des Kriegs in einem KZ ereignet haben. In dieser düsteren, von Räuberbanden heimgesuchten Landschaft kommen sich drei Menschen näher: Der mit Hühnern aufgewachsene «Vogelmensch» Bering, der ehemalige KZ-Häftling Ambras und die Schmugglerin Lily.
Der preisgekrönte, österreichische Autor Christoph Ransmayr, von dem zuletzt der Erzählband «Atlas eines ängstlichen Mannes» erschienen ist, zeichnet in seinem Roman ein illusionsloses Bild eines Nachkriegsdorfes. Kürzlich wurde der 59-jährige Autor für seine «besonderen Leistungen im Grenzbereich von Literatur und Politik» mit dem Ernst-Toller-Preis ausgezeichnet. Auch «Morbus Kitahara» von 1995 besticht durch die geschickt verwobenen politisch-historischen Dimensionen und nicht zuletzt durch Poesie. Mit assoziativen Bildern erzeugt Ransmayr eine beklemmende Atmosphäre in einem Niemandsland, die beim Leser lange nachhallt. Rettung gibt es nicht: Der Protagonist Bering droht an der titelgebenden Netzhaut-Erkrankung Morbus Kitahara im doppelten Sinne zu erblinden. Am Ende übermannt ihn die Finsternis.
Christoph Ransmayr
«Morbus Kitahara»
448 Seiten
Erstausgabe: 1995
Heute erhältlich im Fischer Verlag.
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