Der preussische König Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) hatte eine Leidenschaft: Die «langen Kerls» – für damalige Zeiten riesige Männer über sechs Fuss Länge oder 1,88 Meter Grösse, die er für seine Furcht einflössende Armee einsetzen wollte. Für diese «Riesen» war der ansonsten sparsame König bereit, tief in die Tasche zu greifen. Und er bot für einige besonders lange russische Prachtexemplare Zar Peter dem Grossen gar das sagenumwobene Bernsteinzimmer zum Tausch an.
Skurrile Sonderlinge
Was sich wie ein skurriles Märchen anhört, ist historisch verbürgt. Thomas Meyer hat die Königsgeschichte ausgegraben und daraus einen historischen Roman geschaffen, angereichert mit Witz und Fiktion. Die historischen Tatsachen allein gäben nicht viel zu lachen: Der König hat seine «Riesen» aus ganz Europa rekrutieren lassen, oft unter Zwang, und einen regelrechten Menschenhandel betrieben. Meyer spart die grausamen Details nicht aus, mit denen die künftigen Armee-Angehörigen nach Preussen gelockt wurden, und welcher Folter sie bei Verweigerung ausgesetzt waren.
Der Autor mit seinem Faible für skurrile Sonderlinge setzt der Schwere des Themas einen leichten, unterhaltsamen Ton entgegen. Wie bereits in seinem ersten Erfolgsroman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» wählt er dafür seinen eigenen Jargon. Während das Debüt passend zur Entwicklungsgeschichte eines jüdisch-orthodoxen Jünglings mit jiddischen Ausdrücken gespickt war, sprechen seine Figuren im neuen Roman eine antiquierte Sprache. «Nun machet schon! Saget es ihm so und bestellet ihn für übermorgen Abend anhero!», befiehlt der König etwa seinem Geheimsecretair Creutz, den die Mätzchen Ihrer Majestät zunehmend nerven.
Meyer (über)zeichnet die Figur des Königs als einfältigen Mann ohne Empathie, grausam und gefährlich in seiner Beschränktheit und irrationalen Sammelwut. «Creutz kannte exact drei Arten, in denen der König in die Welt schaute: bübisch, zornig oder besoffen», heisst es im Roman. Wie weit das dem realen Friedrich Wilhelm I. entspricht, bleibt offen – Parallelen zu anderen Despoten drängen sich jedenfalls auf.
Thomas Meyer hat ausgiebig recherchiert über den König und seine Riesengarde. Und ebenso zu den Sitten des frühen 18. Jahrhunderts – vom Aberglauben und Antisemitismus über die medizinischen Pfuschereien bis zu den Ansprüchen an den «vollkommenen teutschen Soldaten».
Spitzzüngig
Als lose gestrickte, fiktive Rahmenhandlung dient ihm die Liebesgeschichte zwischen dem gutmütigen Riesen Gerlach und der grossgewachsenen Konditorstochter Betje, die später zum «ersten Zuchtpaar des preussischen Reiches» werden. Dazu kommen die Fluchtpläne des unbezähmbaren norwegischen Riesen Henrikson. Der Jargon des 18. Jahrhunderts wirkt zwar etwas aufgesetzt. Insgesamt ist dem 40-jährigen Schriftsteller aber wieder ein unterhaltsamer Roman mit Humor und Spitzzüngigkeit gelungen. Über das Lesen sagt der König an einer Stelle: «Für die Religion und das Militair braucht man es. Ansonsten ist es eine Blackscheisserei, zu nichts nutze.» Würde sich die moderne Leserschaft daran halten, entginge ihr mit Meyers Roman eine witzige Lektüre.
Thomas Meyer
«Rechnung über meine Dukaten»
320 Seiten
(Salis 2014).
Lesung
So, 5.10., 11.00
Zentrum Paul Klee Bern