kulturtipp: Ilona Schmiel, nahmen Sie das Tonhalle-Orchester wahr, bevor Sie nach Zürich kamen?
Ilona Schmiel: Schon auch, ich finde hier eine Vielfalt an herausragenden Angeboten, erkenne ein Empfinden dafür, was Qualität sein muss. Aber jetzt, wo ich in der Stadt lebe, merke ich, dass die Kultur zwar eine Rolle spielt, aber sie könnte präsenter sein. Da haben es Festivals einfacher: Durch diese punktuellen Ereignisse, die Inseln, auf die man sich begeben kann, hat man eine andere Aufmerksamkeit.
Das ist im Schweizer Klassikleben gut zu spüren mit der enormen Präsenz von Lucerne Festival. Eine grosse Konkurrenz für die Tonhalle?
Konkurrenz ist das Wichtigste; nichts Besseres, als wenn das Niveau an anderen Orten top ist. Das inspiriert und belebt uns. Wir müssen uns aber mit anderen Veranstaltern absprechen. In welcher Konkurrenz steht etwas inhaltlich? Wo ergänzen, wo verdoppeln wir? Auch mit dem Lucerne Festival.
Lucerne Festival ist den Konzerthäusern oft einen Schritt voraus: Immer sind es die Luzerner, die einen Dirigenten-Workshop zuerst machen. Es sind auch die Luzerner, die – wie diesen Sommer – ein neues Format wie «40 Minuten» erfinden, wo man gratis Einblick ins Festival erhält. Warum?
Ich bin froh, dass es nun «40 Minuten» in Luzern gibt. Wir schauen das genau an und werden eine eigene Variante finden, die für die Tonhalle und für Zürich passt. Wir waren dafür mit «Tonhalle Late» zuerst. Es wird hier Formate wie zum Beispiel unser Schülermanagerprojekt geben, bei denen wir Vorreiter sein werden. Und da ich nun hier ein festes Ensemble habe, werde ich die Musiker in diese Überlegungen einbeziehen. Ich sehe so, wo Nachholbedarf besteht, wo Traditionslinien gelebt oder aufgebrochen werden müssen.
Wie nutzen Sie das feste Ensemble?
Etwas vom Wichtigsten ist die Verortung in der Stadt. Wir werden vermehrt aus dem Saal heraustreten. Für mich ist es wichtig, dass wir sehr viel mehr Bürgerinnen und Bürger begeistern müssen, als jene, die wir schon haben. Da kommt mir die Bonner Festivalerfahrung zugute: Denn da galt es, immer das Besondere mitzudenken. Nichts, was wir hier tun, soll alltäglich sein. Wir müssen uns vorher genau vorstellen, was wir wollen.
Wo holen Sie diejenigen ab, die noch keinen Zugang zu Ihrem Haus haben?
Dauergäste oder Fans holt man übers Programm ab, über dramaturgische und musikwissenschaftliche Zusammenhänge. Jemand, der diese Affinität überhaupt nicht besitzt, der findet den Zugang leichter über grosse Künstler und über die Bühne. Ohne das Bühnenleben zu entzaubern, wollen wir Einblicke geben. Wichtig ist auch unser junger Chefdirigent.
Tatsache allerdings ist: Das Konzert ist ein uraltes steifes Ritual!
Es ist ein fast schon archaisches Bedürfnis, sich zu versammeln, gerade in unseren schnellen Zeiten – eine Auszeit, auch wenn sie nur zwei Stunden dauert. Es ist eine bewusste Entscheidung, herzukommen. Aber die Durchführung des Rituals muss von höchster Qualität sein; sonst funktioniert es nicht. Musik ist die direkteste Form überhaupt, um menschliche Seelen zu berühren. Diese Stärke müssen wir nutzen.
Heisst das auch, dass das Konzertritual an sich unverrückbar ist?
Ja, zu zwei Dritteln ist es gesetzt. Auch das Orchester ist auf dieses Ritual ausgerichtet. Von der Ausbildung bis zu dem, was auf der Bühne passiert. Trotzdem stelle ich mir die Frage, wie und mit welchen Mitteln, Inhalten und Konstellationen ich dieses Ritual immer wieder neu beleben kann. Das Quäntchen zu finden, das es besonders macht.
Gehen wir in 50 Jahren immer noch am Mittwoch um 19.30 Uhr in die Tonhalle und um 21.40 Uhr wieder heim?
Über die Zeiten können wir diskutieren.
Früher, später, länger, kürzer?
Wir werden es ausprobieren, aber trotzdem eine grundsolide Wiedererkennbarkeit mit faszinierenden Künstlern beibehalten. In 10 oder 50 Jahren sind wir jedoch an den Arbeitsplätzen vielleicht nur halb so oft präsent, sind zu Hause oder unterwegs. Das hiesse dann, dass ich zu ganz anderen Zeiten in Konzerte gehen könnte. Es gibt viele Berufsgruppen, die in ihrer Planung frei sind. Es gilt, auf die Bedürfnisse eines Publikums einzugehen.
Ilona Schmiel wurde 1967 in Hannover geboren. Sie hat in Berlin und Oslo Schulmusik, Altphilologie sowie Kultur- und Me-dienmanagement studiert. Von den Donaueschinger Musiktagen über das Kulturfestival Lillehammer und Oslo ging es zu einer internationalen Konzertagentur. Von 1998 bis 2002 war Ilona Schmiel Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des Bremer Konzerthauses. Seit 1996 lehrt sie als Gastdozentin in Berlin. 2004 wurde Schmiel Intendantin des Beethovenfestes Bonn. Seit August ist sie Intendantin des Tonhalle-Orchesters Zürich.
Nächste Konzerte
Mi, 15.10.–Fr, 17.10., jew. 19.30
Tonhalle Zürich
Tonhalle-Orchester Zürich
Leitung: Alain Altinoglu
Klavier: David Fray
Aucoin, Mozart, Rimskij-Korsakow