kulturtipp: Die Eröffnungskonzerte in der Maag-Halle im ehemaligen Zürcher Industriequartier sind beinahe ausverkauft, danach sind die Reihen gelichtet. Oft ist der Saal halbleer, selbst wenn Charles Dutoit dirigiert. Das begehrte Silvesterkonzert ist zu einem Drittel verkauft. Zeit, Alarm zu schlagen?
Ilona Schmiel: Das ist wie immer in Zürich: Man wartet ab. Erst später entsteht der Run, den wir uns alle wünschen. Ich vertraue darauf, dass wir nach der Eröffnung viel zusätzliches Publikum erreichen. Der Trend zeigt, dass wir 48 Stunden vor Konzertbeginn und an der Abendkasse extreme Steigerungen verzeichnen. Ich denke, dass dies in diesem Quartier noch viel stärker der Fall sein wird. Das Silvesterkonzert wird ausverkauft sein, aber später als sonst. Noch ist alles im Plan; es besteht derzeit kein Grund, die Alarmglocke zu läuten.
Wären ähnliche Konzerte in einer normalen Tonhalle-Saison bereits besser verkauft?
Ja, wahrscheinlich, aber der Saisonstart ist später als üblich, und wir sind noch nicht ganz auf der Bildfläche der Konzertbesucher. Erst wenn man richtig eröffnet hat, geht die Nachfrage los. Unsere Werbeaktionen sind am Laufen. Wir haben aktuell 80 Prozent der Abonnenten behalten. Das ist gut, wir hatten viele, die noch im Winter sagten: «Nein, in die Maag-Halle gehen wir nicht.»
Anders gesagt: Sie haben 20 Prozent der Abonnenten verloren!
Wir hatten aber mit 25 Prozent gerechnet und sind glücklich, dass es bloss ein Fünftel ist. Nebenbei: Wahlabos kann man nach wie vor erwerben. Aber es ist klar: Im Marketing und in der Kommunikation müssen wir deutlich machen, dass wir mit dem Umzug keineswegs an Qualität abgespeckt haben, im Gegenteil. Alle grossen Künstler haben ausnahmslos zugesagt, hier aufzutreten.
Welche Besucher werden nicht mehr kommen?
Ich habe diverse Briefe erhalten, teils handgeschriebene. Bei etwa der Hälfte ist es ein Generationenthema: Viele schaffen den Weg nicht mehr und sind überwiegend 90 Jahre und älter.
Die Karten sind fast genauso teuer wie in der Tonhalle. Warum keine Geste à la «Kommt vorbei!» – mit Preisen von 5 bis 70 Franken?
Das wäre nicht machbar, selbst bei einer Vollauslastung haben wir in Bezug auf die Einnahmen Einbussen zu verzeichnen, da es hier 300 Plätze weniger gibt. Kommt hinzu, dass wir sehr viel Geld in den Bau gesteckt haben: Von den 10 Millionen Franken übernahm die Stadt nur 1,65 Millionen. Dennoch sind die Karten etwas günstiger geworden, die Programmhefte werden gratis sein: Es gibt mehr Service-Angebote hier in der Maag-Halle.
Man bietet eine Saison, wo viel drin ist, und tut nun so, als ob alles so wäre wie im normalen Saal. Ist das richtig?
Glauben Sie mir: Ich bin der Typ, der noch so gerne den Schalter dreht und alles ändert. Hier funktioniert das aber nicht. Ich kann meine künstlerischen Inhalte nicht andauernd verändern und glauben, dass ich mich zu meinem Publikum hinbewege. Das halte ich für komplett falsch.
Wurde überlegt, künstlerische Zugeständnisse an die Umgebung zu machen?
Die eigene Markenbildung muss so stark sein, dass sie sich in einem neuen Umfeld durchsetzen kann. Natürlich gibt es Modifizierungen, aber der Kern ist das Sinfonieorchester in einem Konzertsaal: Damit kann ich nicht nur zeitgeistig argumentieren. Auch wenn ich in ein hippes Viertel komme, kann ich nicht alles umkrempeln. Aber der Umzug regt uns zu vielen Fragen an, die wir für die Zukunft und die Rolle eines Orchesters im 21. Jahrhundert beantworten müssen.
Wie ist das Verhältnis zwischen Chefdirigent Lionel Bringuier, dessen Vertrag nicht verlängert wurde, und dem Orchester?
Ich finde, dass es im Moment künstlerisch auf produktive, kollegiale und freundschaftliche Weise funktioniert. Das ist mir wichtig; ich möchte auch, dass wir uns zusammen auf diesen Saal einlassen. Wir haben viel Zeit für die Akustik-Tests eingeplant. Unser und Lionels Ziel ist es, das Bestmögliche aus diesem Jahr und diesem Ort herauszuholen. Jetzt kommt eine grosse Herausforderung, die wir nur gemeinsam meistern können.
Ilona Schmiel
Ilona Schmiel wurde 1967 in Hannover geboren, hat in Berlin und Oslo Schulmusik, Altphilologie und Kultur- und Medienmanage-ment studiert. Von den Donaueschinger Musiktagen über das Kulturfestival Lillehammer und Oslo gings zu einer internationalen Konzertagentur. Von 1998 bis 2002 war Ilona Schmiel künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des Bremer Konzerthauses. 2004 wurde Schmiel Intendantin des Beethovenfestes Bonn. Seit 2014 ist sie Intendantin des Tonhalle-Orchesters Zürich.
Spannende Saison
Trotz Umzug in die Maag-Halle wurden keine künstlerischen Abstriche gemacht, im Gegenteil: Der Bratschist und Komponist Brett Dean begleitet die Saison. Bis Weihnachten dirigieren Grössen wie Charles Dutoit (18.10.–20.10.), Franz Welser-Möst (16.11./17.11.) oder Bernhard Haitink (20.12./21.12.) Starpianistin Yuja Wang kommt mit keinem Geringeren als mit Geiger Leonidas Kavakos (12.12.).
Saisonstart:
Mi, 27.9., 19.30 Tonhalle Maag Zürich
Tickets und Infos: www.tonhalle-maag.ch