Vier von 150 Jahren verbinden Ilona Schmiel und das Tonhalle-Orchester – allerdings vier wichtige Jahre, galt es doch, im Herbst 2017 das Tonhalle-Gebäude zu verlassen und im Kreis 5 sein Glück zu versuchen. Eine Herausforderung in künstlerischer Hinsicht, aber auch ein finanzieller Kraftakt.
Ilona Schmiel hat die Fähigkeit, Probleme wegzustrahlen. Und die Zukunft zu sehen. Sie glaube, dass es in 30 Jahren eine grosse Sehnsucht nach Live-Erfahrungen geben wird. «Wir sehen bereits jetzt: Je mehr Medien, je mehr Globalisierung, umso mehr Gegentrends gibt es. Man will wieder an einem Ort zu einer bestimmten Zeit gemeinsam etwas erleben. Das ist eine subjektive Erfahrung, aber auch eine soziale.»
Die Bindung an bestimmte Klangkörper oder herausragende Künstler werde weiter wachsen. Und so weiss sie denn, dass eine Investition in das Image und Branding des Tonhalle-Orchesters Zürich sehr wichtig ist. Sie glaubt aber, dass die Fokussierung auf die Programmierung nachlassen werde. Der zukünftige Gast weiss nicht mehr immer, was er hören wird, er wird schon gar nicht «alles» kennen. Ihr Ideal wäre es sowieso zu sagen: «Liebe Zürcher, liebe Zürcherinnen, morgen um 19 Uhr 30 ist ein Konzert, wir kündigen aber nicht an, was gespielt wird.» Für sie wäre es grossartig, wenn ein Publikum in den Saal käme, weil es weiss, dass das, was sein Orchester anbietet, immer von höchster Qualität und grösster Faszination sei.
Doch muss man dem modernen Konzertgänger tatsächlich dauernd Neues bieten, ihn mit allerlei Versprechungen vom Sofa in den Konzertsaal locken? Schmiel ist zurückhaltend, sagt, dass das Publikum immer eine Herausforderung und die klare Vorstellung einer Profilierung brauchte. «Das war schon früher so, auch wenn man es damals nicht so nannte. Man dachte nicht in Kategorien, stand nicht in einem riesigen Wettbewerb mit anderen, mit denen man sich heute vergleichen und gegen die man sich durchsetzen muss.»
Kapitänin eines 150-jährigen Dampfers
Der Klassikfan ging noch in den 1970er-Jahren ins Konzert und wusste, das ist das Orchester meiner Stadt – er kannte wohl nicht viel mehr. Dann aber kamen die Spezialisten-Ensembles hinzu, die Konkurrenz wuchs, die Medien übernahmen eine wichtige Vermittlungsfunktion.
Doch Ilona Schmiel ist nicht die Kapitänin eines neuen hippen Orchesters, sondern eines 150-jährigen Dampfers, des Tonhalle-Orchesters Zürich. Dem Klangkörper merkt man nicht das Alter an, aber man spürt, wenn in einem Orchester immer eine hohe Qualität und eine Tradition an die nächstfolgenden Generationen weitergegeben wurden: «Der Stolz auf die eigene Leistungsfähigkeit, die bestehende Tradition und eine unverwechselbare Klangvorstellung», wie Schmiel sagt.
Ein so altes Orchester zeichne ein Spiel von höchster künstlerischer Qualität aus, zudem Flexibilität im Repertoire, stilistische Vielfalt, eine starke Prägung durch die jeweiligen Chefdirigenten sowie Offenheit für Gastdirigenten. «Wichtig ist, dass das Orchester seine Qualitäts- und Leistungsmassstäbe auch ausserhalb der eigenen Stadt zeigt, um sich dem Vergleich mit anderen Toporchestern zu stellen. Entscheidend ist, dass man es schafft, bei der Nachbesetzung von Stellen Musiker zu finden, die in diesen Klangkörper passen. Nur dann ist Kontinuität garantiert.»
Gerade die Nachbesetzungen stellen ein Orchester vor Probleme: «Es ist eine Kunst, nicht nur die besten Musiker zu finden, sondern auch die Persönlichkeiten, die in unser Zürcher Orchester passen und die sich dafür engagieren wollen. Das ist nicht einfach ein Durchlaufposten, die Identifikation ist wichtig. Es geht um die Frage: Wer prägt ein solches Ensemble?»
Tradition lässt sich in einem Orchester durchaus festmachen, etwa in Bezug auf Klangqualitäten, Interpretation und das Repertoire. «Und nicht zuletzt prägen die Erwartungshaltungen sowohl des Ensembles als auch des Publikums. Als ich nach Zürich kam, bin ich in die Geschichte des Orchesters eingetaucht und habe versucht, mich in die historischen Herausforderungen hineinzudenken, als Zäsuren anstanden.»
Ziele für den heimischen Markt definieren
So habe sie nachvollziehen können, in welchem Kontext die Entscheidungen gefallen waren: «Man muss die Ziele eines Orchesters zunächst für den heimischen Markt definieren und sich dann international positionieren.»
Als Last sieht sie die Traditionen nicht, aber als eine Verantwortung. «Man muss Verständnis für sie haben, sie kennen, um Akzente setzen zu können. Wer sich die Geschichte des Tonhalle-Orchesters anschaut, erkennt immer wieder inhaltliche Fokussierungen bei den unterschiedlichsten Chefdirigenten, allen gemeinsam ist ein ausgeprägtes zyklisches Denken.» Dem Publikum soll das ganze Spektrum der Musikgeschichte präsentiert werden.
Konzerte Tonhalle-Orchester Zürich
Liszt, Mahler
Leitung: Paavo Järvi
Mi/Do, 10.10./11.10., jew. 19.30 Tonhalle Maag Zürich
Debussy, Rachmaninow, Brahms
Leitung: Paavo Järvi
Klavier: Khatia Buniatishvili
Fr, 12.10., 19.30 Tonhalle Maag Zürich
Familienkonzert: Die Schneekönigin
Leitung: David Philipp Hefti
So, 11.11., 11.15/14.15 Tonhalle Maag Zürich
CD
Tonhalle Orchestra Zurich
Celebrating
150 Years
14 CDs (Sony 2018)