Wäre da nicht so viel anderes, könnte man mit Igor Levit eigentlich auch über Musik sprechen: über seinen märchenhaft steilen Aufstieg, über seine gewaltigen Konzertprogramme, seine grossartigen Überforderungen auf CD und im Konzert sowie seine subtil glänzenden Interpretationen. Er lächelt bei der Bemerkung, weiss selbst zu gut, dass er zu vielem anderem etwas zu sagen hat. Bald wendet er sich vor oder nach dem Konzert mit seinen politischen Botschaften direkt an sein Publikum, bald schreibt er öffentliche Briefe. Und täglich wendet er sich via Twitter an die Welt: Deutschland liegt ihm so am Herzen, dass er es gegen alles, was dort aus dunkler rechter Ecke kommt, verteidigt.
Träumend-melancholische Botschaft
«Was passiert in Deutschland gerade?», fragte er auf Twitter.
In Berlin, kurz vor der Präsentation seiner CD «Life», sagt er dazu: «Wir stehen an einer Weggabelung. Es gibt eine klare Bewegung, eine Mischung aus Politikern, Publizisten und Journalisten, die eine Grenzverschiebung vornehmen. Sie führen einen verbalen Kreuzzug gegen Moral, tun Moral als etwas Linksträumerisches ab. Die Grenzen des Denkens verschieben sich brutal nach rechts, Dinge normalisieren sich, die nicht normal sind. Vieles, das in meiner Heimat passiert, ist extrem ungemütlich. Das macht mir Angst.»
Er selbst kann dem Zuhörer bisweilen auch Angst machen, wenn er mit unglaublicher Innigkeit von seinen Seelenzuständen erzählt. So wie auf der neuen CD, die einem verstorbenen Freund gewidmet ist. Das Cover zeigt bereits, wo die Reise hin-geht – hinein in diesen 31-jährigen Pianisten. Keine Namen von Komponisten sind hier zu finden, der Blick geht auf Levits Hände. Kopf und Beine sind nicht zu sehen. Das Stück «A Mensch» des US-amerikanischen Komponisten Frederic Rzewski (*1938) ist Kern des Programms, es weitet sich aus zu Franz Liszts Bearbeitungen von Werken Richard Wagners, führt über Ferruccio Busonis Bach-Fantasie und Schumanns unheimliche «Geistervariationen» bis zu Bill Evans’ «Peace Piece»: Hier, endlich, erhält die träumend-melancholische Botschaft des Albums ein abendsonniges Lächeln.
Mit Musik gegen das Böse
Levit selber versinkt immer wieder in dunklen Gedanken zu Deutschland, twitterte: «Irgendwann geht man halt doch einfach weg.» Er, der 1987 in Russland geboren wurde, ab 1995 in Deutschland aufwuchs, werde dauernd daran erinnert, dass er Migrant sei. «Ich verstehe diejenigen nicht, die sagen ‹Das geht mich nichts an›. Es geht alle etwas an.» Wenn eine Gesellschaft akzeptiere, dass Menschen zweiter Klasse normal seien, dann gnade ihr Gott. Ein solches Land könne nicht seine Heimat sein. «Ich werde mit allem, was ich habe, dagegen ankämpfen. Ich liebe meine Heimat sehr.»
Und so kämpft er mit Musik, weiss aber, dass sie keine Weltretterin ist, weil sie den Menschen im Guten wie im Schlechten ausgeliefert ist. «Wir können etwas in einen positiven Rahmen setzen, wir können Musik aber auch misshandeln wie Beethovens 9. Sinfonie.» Youtube-Videos zeigten: In Berlin sei im Krieg jeweils die halbe Waffen-SS in den ersten drei Reihen im Konzertsaal gesessen. Musik sei ein Machtinstrument, aber er betrachte es nicht so: «Ich will mit Beethoven kämpfen, aber die Betonung liegt nicht auf Beethoven, sondern auf kämpfen. Beethoven steht ohne mich für gar nichts ein. Ohne Sie, der ihn hört, oder mich, der ihn spielt, existiert er buchstäblich nicht.»
Levit ist ein streitbarer Geist, der Klassik anders denkt als viele seiner Kollegen. Kein Wunder, pflegt er gute Beziehungen zu Michael Haefliger, dem Intendanten des Lucerne Festival. Jetzt tritt er beim Pianofestival auf, im Sommer 2019 wird er einen Beethoven-Zyklus starten, der sich über mehrere Festivals erstreckt und den er bis zum Ende des Beethoven-Jahrs 2020 abschliessen wird.
Die Nähe zu Luzern und seinen Akademien
Keine zufällige Verbindung, sondern eine neue Beziehung, die sich ausbauen wird. «Ich kann sehr viel damit anfangen, wie in Luzern gedacht wird – auch in den Akademien. Da werden Menschen zusammengebracht, um Neues zu schaffen.» Oft hat er mit Haefliger über die «Ark Nova» gesprochen, eine aufblasbare mobile Konzerthalle, die der japanische Architekt Arata Isozaki und der britische Künstler Anish Kapoor entworfen haben. Sie dient nicht nur als Plattform für Konzerte, sondern ist auch eine Begegnungsstätte, die Künstler und Publikum zusammenbringt. «Diesem flexiblen Denken in diesen mobilen Räumen fühle ich mich nah.» Hier kann er seine musikalischen Ideen verwirklichen.
Konzert
Igor Levit am Pianofestival Luzern
Sa, 17.11., 18.30 KKL Luzern
CDs
Igor Levit
Life
(Sony 2018)
Igor Levit
Bach, Beethoven, Rzewski
(Sony 2015)
Pianofestival Luzern
Das Pianofestival findet zum 20. Mal statt: Es bietet Orchesterkonzerte, Meisterkurse, Gespräche, Rezitals und einen Orgelabend (Cameron Carpenter). Unter anderen werden Piotr Anderszewski, Igor Levit, Grigory Sokolov solo auftreten. Andreas Haefliger spielt Klavierkonzerte von Mozart und Ravel. András Schiff präsentiert ein Doppelrezital rund um Brahms’ späte Klavierstücke.