kulturtipp: Galina Vracheva, klassische Musiker improvisieren fast nie. Wie sind Sie zur Improvisation gekommen?
Galina Vracheva: Improvisiert habe ich eigentlich immer, schon als ganz kleines Kind auf dem Akkordeon. Ich habe eine klassische Klavierausbildung erhalten und habe in Moskau studiert. Da war ich 15, 16 Jahre alt, hatte Heimweh nach Bulgarien und habe meine Gefühle so ausgedrückt. Längst nicht nur über klassische Themen, ich habe zum Beispiel auch in einem Jazzlokal gespielt.
Warum sind Sie der Klassik treu geblieben und improvisieren jetzt gerne über Opernthemen?
Als Kind habe ich Opern nicht gemocht. Aber dann hat mich mein Vater in die Oper mitgenommen, und Verdis «Troubadour» hat mir einen unglaublich tiefen Eindruck hinterlassen.
Was passiert in Ihnen, wenn Sie einen Vorschlag von den Zuhörern bekommen? Sagen wir «La ci darem la mano» aus Mozarts «Don Giovanni».
Bei mir entwickelt sich alles über Bilder. Bei «La ci darem la mano» denke ich spontan an die Variationen, die Chopin über diese Arie geschrieben hat. Da vermischt sich die Figur von Chopin, wie er an seinem Klavier sitzt, mit Mozart, der vielleicht hinter ihm steht, und ich beginne mit diesem Thema zu spielen.
Überlegen Sie sich formale Abläufe? Planen Sie, während Sie spielen?
Ich kann nicht improvisieren, wenn ich analytisch denke. Es sind Emotionen und Bilder: Das Verspielte, Schnippische von Mozart, sein Humor, aber auch das Selbstbewusste. Ich schaffe es nicht, zweimal gleich zu denken. Ich kann nur immer neue Bilder erschaffen. Es sind Momenteindrücke, die kommen und gehen, nicht festzuhalten sind.
Ist es Ihnen schon passiert, dass Ihnen nichts eingefallen ist?
Zum Glück nicht. Aber ich bin nicht immer gleich gut. Man hat seine Erinnerungen und Lebenserfahrungen – und natürlich Erfahrungen im Klavierspiel mit den Möglichkeiten, sich über die Tasten auszudrücken.
Gerade ist Ihre Opern-CD erschienen. Wie improvisiert man für die CD?
Ich habe im Booklet meine Assoziationen zu beschreiben versucht. Das erste Stück zum Beispiel ist aus Verdis «Traviata». Ich habe als Kind den Film mit Anna Moffo gesehen: Wunderbare Bilder, schöne Kleider, ein märchenhafter Palazzo. Während der Arie «Sempre libera» spürt man, dass diese todkranke Frau für einen kurzen Augenblick einfach vollkommen glücklich ist. Dieser Moment hat mich bewegt.
Welche Opernfiguren inspirieren Sie am meisten?
Ich habe in letzter Zeit Wagner für mich entdeckt, aber es ist die dramatische Musik allgemein, die mich bei ihm fasziniert. Ich mag historische Figuren wie Philipp II aus «Don Carlos» oder Xerxes von Händel. Und ich mag sogar «Jesus Christ Superstar». Dieses Musical konnte ich mal auswendig. Sie sehen, ich bin der Klassik nicht ganz treu.
CD
Galina Vracheva
Piano Arias. Improvisationen: Arien von Verdi, Wagner, Puccini, Bizet (Nightberry 2013).
«Hörpunkt»-Tag
Mi, 2.10., 15.00–17.00
Live am Radio
Radio SRF 2 Kultur
Galina Vracheva improvisiert über Opernthemen.
Reinmar Wagner