kulturtipp: Charles Lewinsky, bekommen Sie eine Erfolgsbeteiligung für Ihr neuen Stück «Weg damit!» im Zürcher Theater Rigiblick?
Charles Lewinsky: Keine Ahnung, das läuft über den Theaterverlag.
Sie verlangen, dass Theatersubventionen auch von der Anzahl Besucherinnen und Besucher abhängig sind.
Das gilt ja auch für die Stückeschreiber. Ich erhalte Tantiemen, die sich nach der Anzahl Aufführungen richten.
Mit andern Worten möglichst viel Klamauk, um ein breites Publikum anzusprechen.
Nein, ich schreibe ein Stück, das mir Spass macht und hoffentlich den Leuten auch. Aber das muss kein Massenpublikum sein, sonst dürfte ich nur noch Schwänke schreiben – das wäre viel einfacher.
Beschäftigt Sie das Alter so sehr, dass Sie das Thema jetzt auf die Bühne bringen?
Es ist ja nicht so, dass man immer nur über die eigene Befindlichkeit schreibt, das wäre schrecklich langweilig. «Weg damit!» ist ein Einpersonenstück mit einer Hauptfigur, die jung ist.
Das Stück dreht sich um Alter und Tod.
Nein, es geht um das Erinnern. Wie legen wir uns die Vergangenheit zurecht? In «Weg damit!» setzt die junge Frau Klara Walther die Erinnerungen des Verstorbenen zusammen. Sie kennt sein Leben nur aus Andeutungen und bezieht diese auf ihr eigenes Leben.
Wie sieht es denn mit Ihrer eigenen Erinnerungsforschung aus?
Falls ich je eine Autobiografie schreiben werde, trägt sie den Titel «Alles erfunden». Wir erinnern uns nicht an die Dinge, wie sie waren, sondern an die Dinge, wie wir sie oft erzählt haben. Wir konstruieren aus dem Geschehenen Geschichten, die wir laufend besser polieren.
Das Bedürfnis, zu beschönigen?
Nicht unbedingt, es verhält sich wie mit Volksliedern, die sich zusehends abschleifen, bis sie eine perfekte Form gefunden haben. Darum sind in Autobiografien die ersten Kapitel über die Jugend immer die besten. Sie beruhen auf den am häufigsten erzählten Geschichten, die schön geschliffen sind, aber mit der Wirklichkeit am wenigsten zu tun haben.
Werden Ihnen Erinnerungen zusehends wichtiger?
Ich bin noch nicht an diesem Punkt angelangt. Aber ich kann mir vorstellen, dass es so weit kommt. Alt ist, wer davon spricht, was er getan hat. Jung ist, wer sagt, was er noch will. Ich habe noch einiges vor.
Es gehört zum Beruf des Schriftstellers, mit Erinnerungen zu arbeiten.
Man tut das ja beim Schreiben nicht bewusst. Der englische Schriftsteller Alan Bennet hat in einer Geschichte geschrieben, wie einem Reisenden am Zoll die Erinnerungsstücke aus dem Kofferraum quellen, etwa der Flügel seiner Grossmutter oder das Höschen seiner ersten Freundin. Er wusste nicht, dass er das alles mit sich herumtrug. So geht es mir beim Schreiben. Dinge fliessen in den Text ein, die mir nur im Unterbewussten präsent sind.
Finden Sie das Alter so lustig, dass Sie ein Stück darüber schreiben, das Ihr Publikum unterhält?
Es wird lustig.
Eine weitere Sitcom wie «Fascht e Familie»?
Keinesfalls, ganz anders. Ich wollte wieder einmal mit dem Komponisten Markus Schönholzer zusammenarbeiten. Er ist brillant, und wir haben viel Spass zusammen.
Sie suchen immer wieder neue Formen beim Schreiben.
Wenn ich eine Form einmal beherrsche, interessiert sie mich nicht mehr. Ich probiere am liebsten Neues aus. Darum jetzt dieses Einpersonenstück.
Führen Sie Selbstgespräche?
Nein, aber ich spreche beim Schreiben die Sätze laut vor mich hin. Nur dann weiss ich, ob sie stimmen. Ich muss sie rhythmisch und melodisch ausprobieren.
Die Schriftstellerin Virginia Woolf las ihre eigenen Texte in der Badewanne laut vor.
Ich frage immer wieder Kollegen, wie sie schreiben. Ich habe noch keine zwei gefunden, die gleich schreiben. Ein junger US-amerikanischer Kollege gönnte sich nach jeder Seite ein Häppchen Käse, weil er ihn so gern hat.
Der ist kugelrund.
Nein, ein langsamer Schreiber.
Warum haben Sie eigentlich mit Ihrem Buch «Schweizen« über das langweiligste Thema der Welt geschrieben?
Hä?
Die Schweiz, dazu wurde schon alles gesagt.
Das ist überhaupt kein langweiliges Thema. Wir werden zusehends zu einer kurligen Insel mitten in Europa.
Halt, Sie sind gegen einen Beitritt in die EU.
Weil sie undemokratisch ist. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn die EU der Schweiz beitreten würde. Da könnte sie einiges lernen.
Nochmals, was interessiert Sie eigentlich an der Schweiz?
Das ist mein Land, ich lebe hier, das ist wie eine Art Familie. In meinem Buch «Schweizen» projiziere ich aktuelle helvetische Entwicklungen in die Zukunft.
Nein, Sie sitzen in Ihrem Haus im schönen Frankreich und denken sich, wie schrecklich doch das Leben in der engen Schweiz ist.
Überhaupt nicht. Ich habe diesen abgelegenen Ort nur aus Kostengründen gekauft. Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich gerne einen Rückzugsort am Thunersee kaufen und dort in Abgeschiedenheit schreiben. Das wäre wunderbar.
Weg damit!
Mi, 11.12., 20.00 (Premiere)
Fr, 13.12., 20.00
So, 15.12., 20.00
Theater Rigiblick Zürich
Tournee 2014
Unter anderem nach Schaffhausen, Dielsdorf ZH, Olten, Dornach SO
Satirische Lesungen
«Schweizen» mit Charles Lewinsky, Judith Stadlin und Michael von Orsouw
Fr, 6.12., 20.00
Theater in Burbachkeller Zug
Mo, 9.12., 20.00
Kleintheater La Cappella Bern
Der 67-jährige Schriftsteller Charles Lewinsky ist einer der erfolgreichsten Schweizer Autoren. Er wurde als Drehbuchautor der Sitcom-Fernsehserien «Fascht e Familie» und «Fertig lustig» Mitte der 90er-Jahre bekannt. Grosse Anerkennung fand Lewinskys Roman «Melnitz», eine jüdische Familiensaga, die in zwölf Sprachen übersetzt wurde und nächstens auf Englisch herauskommen wird. Lewinsky lebt in Zürich sowie in einem Dorf in der französischen Region Haute-Saône.