kulturtipp: Frau Mühlemann, Sie singen an den besten Häusern und Festivals. All das kann man auch von Anna Netrebko sagen. Wie sehr gleichen sich Ihre Karrieren?
Regula Mühlemann: Von Netrebkos Status bin ich meilenweit entfernt. Ich vergleiche mich schon gar nicht mit ihr. Ich glaube nicht, dass ich jemals an diesen Punkt komme, da ich ein völlig anderer Charakter bin. Ich bin keine Diva, sondern ein Scherzkeks.
Ähnlich wie Netrebko sind Sie in den Medien sehr präsent.
Erst hatte ich bloss den künstlerischen Anspruch, in den Zeitungen lieber mit einem tollen Text als mit einem Foto präsent zu sein. Plötzlich merkte ich aber, dass wir in einer Zeit leben, in der die Klassik an Stellenwert verliert. Es wird immer schwieriger, die Oper zu finanzieren. Ich bin in einem Alter, in dem ich vielleicht noch eine Brücke zu jungen Menschen schlagen kann. Es gehört zu meinem Job, zwischen diesen Welten zu vermitteln, wenn es möglich ist. Darum sagte ich vielen Medien für ein Interview zu, die sich nicht im engen Kulturbereich bewegen, auch populären wie Fernsehen und Radio.
Welches Bild zeichnen Sie da von sich?
Ich zeige, dass ich eine normale junge Frau bin, die klassische Musik macht. Aber klar, läuft man bei diesen Medien Gefahr, dass dann ab und zu Sachen erzählt werden, die nicht stimmen.
Das Schweizer Fernsehen nannte Sie die «Schweizer Callas». Ist Ihnen das peinlich?
Total peinlich. Aber dennoch können wir dank diesen Kanälen anderen Leuten Türen öffnen. Ich will, dass die Leute in die Oper und ins Konzert kommen, um sich selber eine Meinung über die klassische Musik zu bilden.
Zweifeln Sie manchmal an sich als Sängerin?
Ich bin ein extrem positiv denkender Mensch, aber während der Ausbildung gab es Momente, in denen ich dachte: Geht es jetzt weiter?! Ich heulte nicht los, überlegte aber: Kann ich etwas anderes machen? Mir war immer klar: Es muss nicht unbedingt das Singen sein. Aber es gab halt nichts, das mir mehr Freude bereitet hätte als der Gesang.
Heute durchleben Sie keine solchen Krisen mehr?
Doch. Gerade vor einem halben Jahr wollte ich mit Hauptrollen loslegen, ich war wie ein Pferd im Stall, das raus wollte. Es lagen Dinge in der Luft …
Sie wollten endlich die grossen Rollen an den Tophäusern singen, erhielten Sie aber nicht.
Ja und nein. Einige tolle Möglichkeiten kamen aus terminlichen Gründen nicht zustande. Aber ich lernte gerade in den Monaten unheimlich viel, als ich etwa die Papagena am Festival von Aix-en-Provence und in Paris sang. Heute habe ich weniger Ermüdungserscheinungen und eine neue Gelassenheit gefunden.
Das tönt etwas gar weise.
Schauen Sie: Ich bin so privilegiert! Ich sang in der besagten Zeit in Paris, Aix-en-Provence, Berlin, Wien und Genf. Ich erlangte mit kleinen und mittleren Rollen so viel Aufmerksamkeit! Nebenbei lernte ich diese Orte kennen, hatte Zeit für mich, konnte viel arbeiten. Komme ich das nächste Mal nach Aix, bin ich bestimmt entspannter. In Zukunft überlege ich mir viel genauer, wie viel Pause ich nach einer Produktion brauche. Nicht nur stimmlich, körperlich und psychisch. Es geht auch darum, heimzugehen und echte Pausen zu nehmen. Ich will Zeit mit jenen Menschen verbringen, die mir wichtig sind. Ich bin oft allein, da ich so viel unterwegs bin.
Wenn man die Regeln des Opern-Business mehr oder weniger befolgt, ist die Karriere dann gemacht?
Nein, so leicht ist es nicht, aber ich habe heute eine grosse Zuversicht, die ich früher nicht kannte: Alles kam grösser, als ich es mir je vorgestellt hatte. Deswegen habe ich auch kein Ziel. Ich muss nicht an der Metropolitan Opera in New York singen. Einst sagte ich: Ich singe, solange es mir Freude macht. Deshalb ist eine Karriere nie «gemacht». Sollte es mir keine Freude mehr machen, wird mein Gesang auch dem Publikum keine Freude mehr bereiten.
Wenn Cecilia Bartoli ankündigt: «Ich singe im Sommer 2016 Anna Bolena!» Dann sagt man in Salzburg: «Danke, gerne!» Wie ist es, wenn Regula Mühlemann das tut?
Tatsächlich kann nur eine Handvoll Stars sagen, was sie mit welchem Regisseur und mit welchen Gesangspartnern singen will. Aber ich merke dennoch, dass die Opernhäuser Interesse an meinen Ideen bekunden. Ich investiere auch viel Zeit dafür: Die Rollensuche ist eine Riesenarbeit, es gibt so viel Literatur! Ich höre mich jetzt zum Beispiel durch alle Sopranarien der Mozart-Opern. Das sind elfeinhalb Stunden Musik – allein die Arien! Aber das ist superspannend: Ich entdecke Werke, von denen ich wusste, aber deren Musik ich bisher gar nicht gekannt habe.
Alte Diven wiederholen es immer wieder, wenn es um ihre Karriereschritte geht: «Ich habe halt gewartet.»
Warten reicht nicht! Aber ich lehne lieber eine unpassende Rolle ab, anstatt sie durchzuziehen, bloss weil es eine tolle Chance ist.
Wenn Sie an einem kleinen Haus in Luzern oder Bern fix engagiert wären, könnten Sie grosse Rollen erarbeiten, und diese später an einem grossen Haus singen. Kein Segen?
Durchaus. Ich habe mich aber anders entschieden. Nach ersten sehr wichtigen Schritten am Luzerner Theater brachten mich Angebote von Venedig, Baden-Baden und Salzburg dazu, als freischaffende Sängerin weiterzufahren. Zugegeben, ich lasse einen Schritt aus, habe aber ein gutes Gefühl dabei.
Regula Mühlemann wurde 1986 in Adligenswil LU geboren.
Sie studierte bei Barbara Locher in Luzern. In Jens Neuberts Kinoverfilmung von Webers Oper «Der Freischütz» übernahm sie die Rolle von Ännchen, worauf sich ihr viele Türen öffneten:
In der Spielzeit 2010/2011 gehörte sie dem Ensemble des Luzerner Theaters an, danach wurde sie bereits freischaffende Sängerin. In Zürich, an den Salzburger Festspielen, in Wien, Berlin, Paris, Aix-en-Provence, überall sang sie kleinere Rollen.
DVDs
Donizetti/Gaetano:
L’elisir d’amore
(DG 2014).
Gluck: Orfeo ed Euridice (Arthaus 2014).
Weber: Der Freischütz
(Constantin 2011).
Konzerte
Mozart-Arien mit dem Argovia Philharmonic Aarau
So, 18.1., 17.00 & Di, 20.1., 19.30 KuK Aarau
Mi, 21.1., 19.30 Kongresshaus Biel
Do, 22.1., 20.00 Bahnhofsaal Rheinfelden AG
Fr, 23.1., 19.30 Trafo Baden AG
Sa, 24.1., 19.30 Klostersaal Muri AG