Vorerst sind es glückliche Zeiten, von denen die Ich-Erzählerin berichten kann: In den ersten acht Kindheitsjahren bei den Grosseltern im ländlichen Glonn in Bayern lebt die kleine Lena «sorglos dahin». Das Mädchen ist unehelich geboren («ein Ledigkind»). Die Mutter lebt mit ihrem neuen Ehemann in München. Dahin muss Lena mit neun, um in der Gastwirtschaft mit anzupacken, den Haushalt zu besorgen. Und hier hat die glückliche Zeit ein Ende: Sie wird von der Mutter, einer frommen, aber «bösen Frau», regelmässig gedemütigt und gezüchtigt.
Die Literatur bestärkte sie auf ihrem Weg
Lena ist begabt. Sie kann schön singen und wird zur Solosängerin im Chor gewählt. Die Mutter schickt Lena als «Lehramtsjüngerin» in ein Kloster in Schwaben, wo ihr Kind mit viel Scheinheiligkeit konfrontiert ist. Der Aufenthalt dauert nicht lange. Lena kehrt zurück nach München, wird wieder «die Wirtsleni». Mit 19 heiratet sie einen Mann, der säuft und seine Gattin misshandelt. Lena wird Mutter und trennt sich schliesslich vom schlagenden Ehemann. Es ist nicht gut geworden mit ihrem Leben, ganz so, wie es die Mutter bei der Hochzeit mit ihrer Verwünschung prophezeit hatte.
Ihr Leben beschreibt Lena Christ im 1912 erschienenen, von der Kritik gerühmten Buch «Erinnerungen einer Überflüssigen». Das Hörspiel endet wie das Buch: «Doch das Leben hielt mich fest und suchte mir zu zeigen, dass ich nicht das sei, wofür ich mich so oft gehalten, eine Überflüssige.» Die Literatur bestärkte, ja rettete Lena Christ auf ihrem schicksalsschweren Weg.
Diese bewegenden Geschichten erzählt die Schauspielerin Brigitte Hobmeier im Hörspiel mit sanfter Stimme. Lebendig gemacht sind einzelne Episoden in Dialogszenen in bayerischem Dialekt.
Bei den «Erinnerungen einer Überflüssigen» handelt es sich um eine literarisierte Lebensgeschichte: um einen Roman, in dem Lena Christ selber zwar die Ich-Erzählerin ist, einzelne Geschehnisse allerdings dichterisch verfremdet dargestellt sind. Lena Christ wird damit zur anerkannten Schriftstellerin, die sie noch acht Jahre bleiben wird. Doch das Leid wird sie weiterhin begleiten.
«Die befleckte Ehre» mit dem eigenen Tod retten
Sie erlebt Gewalt, Armut, Krankheit. In der Not flüchtet sie sich gar in die Gelegenheitsprostitution. Schliesslich das fatale Verbrechen: Sie fälscht Signaturen von bekannten Künstlern auf unbedeutenden Gemälden und erzielt entsprechend hohe Preise. Um einer Verurteilung zu entgehen, unternimmt sie einen allerletzten Fluchtversuch, «ich, das unglückselige Menschenkind». Damit wolle sie «die befleckte Ehre» mit ihrem Leben «abwaschen», wie sie in einem Brief am Vortag ihres Todes schreibt.
Am 30. Juni 1920 legt Lena Christ sich auf ein Grab auf dem Münchner Waldfriedhof und schluckt das tödliche Zyankali, das ihr zweiter Ehemann Peter Jerusalem besorgt hatte.
Hörspiel
Erinnerungen einer Überflüssigen
Regie: Stefanie Ramb
So, 31.5./Mo, 1.6., 21.05 BR 2
Buch
Gunna Wendt
Lena Christ – Die Glücksucherin
256 Seiten
(Langen Müller 2012)