Die junge Lena Grove ist in Erwartung. Sie macht sich von Alabama zu Fuss auf, um Lucas, den Vater des ungeborenen Kindes, im Provinznest Jefferson zu finden. Ein zwar schier hoffnungsloses Unterfangen, aber trotzdem stöbert sie ihn in einem Hobelwerk auf. Jedenfalls fast, wenn sie nicht von einem Arbeitskollegen Lucas’ über dessen Verbleib angelogen würde. Das ist der Auftakt der famosen Hörspielinszenierung «Licht im August», das der deutsche Radiosender SWR um Weihnachten in vier Teilen ausstrahlt.
Umsetzung des Epos mit 70 Sprechenden
Faulkners Roman «Licht im August» ist ein denkbar anspruchsvoller Stoff, um ihn in einem Studio hörgerecht umzusetzen. Denn der Schriftsteller verwebt wie in allen seinen grossen Romanen die Handlungsstränge schier unzähliger Protagonisten, die sich zum Teil im Lauf der Geschichte treffen, zum Teil eben nicht. Kommt dazu, dass er die Geschichten nicht fadengerade erzählt. Vielmehr wagt Faulkner immer wieder kühne Zeitsprünge und erzählt weite Teile im «Stream of Consciousness», in der «Erlebten Rede» der Protagonisten: Sie berichten von ihren Gedanken und Motiven, die hinter ihren Handlungen stecken. Rechtfertigungen, Täuschungen, Illusionen oder schlichter Selbstbetrug kommen so zum Vorschein.
Zu Beginn der 30er-Jahre kam diese Erzähltechnik in Europa gerade auf mit Romanen wie «Zum Leuchtturm» von Virginia Woolf oder James Joyces «Ulysses», die Faulkner übernahm und zur Meisterschaft weiterentwickelte. Damit schaffte er eine authentische Atmosphäre, der sich der Leser oder Hörer nicht entziehen kann. Man spürt förmlich die sengende Südstaaten-Hitze und ringt mit dem Atem angesichts der gesellschaftlichen Zwänge in dieser bigotten Gegend.
Hörspielregisseur Walter Adler ist es gelungen, diese Stimmung akustisch umzusetzen: Er inszenierte das 700-seitige Epos mit 70 Sprechern, darunter Tom Schilling, Yohanna Schwertfeger oder Ulrich Matthes. Sie nehmen die Hörerschaft in eine zeitlich und geografisch weit entfernte Gesellschaft, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch nicht in der Moderne angekommen war.
Faulkner packt all die grossen menschlichen Konflikte an, die bis heute virulent sind: Rassismus, Geschlechterkampf, Frömmelei und Unterdrückung. Dabei hält er sich mit Urteilen zurück; bei Faulkner ist kein Charakter abgrundtief böse oder erhaben gut.
Trotz Verfehlungen viel Wohlwollen
Wie vielschichtig seine Figuren sind, illustriert der schillernde Protagonist Christmas, von dem am meisten die Rede ist. Er ist ebenfalls ein Arbeiter im Hobelwerk und fühlt sich als Aussenseiter, weil er der Überzeugung ist, schwarze Vorfahren zu haben. Christmas erscheint als Opfer und Täter zugleich, entzieht sich moralischen Kategorien. Faulkner-Leser lieben solche Figuren, da man ihnen trotz ihrer Verfehlungen viel Wohlwollen entgegenbringt und dabei kein schlechtes Gewissen empfindet – bis hin zum dramatischen Höhepunkt, in dem Christmas mit dem Lebens büsst.
«Licht im August» ist zwar eine grossartige Lektüre, wer aber die Chance hat, diese Geschichte in einem wunderbaren Hörspiel zu verfolgen, sollte sie nicht verpassen.
Radio
Licht im August
Regie: Walter Adler
1/4–4/4: Di, 26.12.–Fr, 29.12.
Jeweils 20.03 SWR 2
CD
William Faulkner
Licht im August
450 Minuten
(Hörbuch Hamburg 12.1.2018).