Vor vier Jahren veröffentlichte der französische Erfolgsschriftsteller Jean-Philippe Blondel seinen Roman «6 Uhr 41» (deutsche Buchausgabe 2014). Aus dem Bestseller-Roman machten die Aargauer Schauspielerin Annette Wunsch und der Bündner Gian Rupf letztes Jahr für das Theater Triebgut ein Zwei-Personen-Bühnenstück, das da und dort in der Schweiz zu sehen war. Mit dabei: Annette Wunsch selber und Gian Rupf. Die Theater-Adaption behielt das geografische Setting der Romanvorlage bei und spielte in Frankreich.
Von Tiefencastel nach Zürich
Beide Theaterleute der Bühnenfassung bilden nun auch die Hörspielbesetzung. Anders als im Theater ist die radiofone Version auf Schweizer Verhältnisse adaptiert. So wird nicht mehr in einem Zug von Troyes nach Paris gefahren, sondern vom bündnerischen Tiefencastel nach Zürich. Sie spricht Aargauer, er Bündner Dialekt. Wobei sprechen: Man hört sie, aber die beiden untereinander tun es nicht, weil es sich um innere Monologe handelt, um Gedanken und Erinnerungen, die sie wie er nur jeweils für sich «ausspricht». Die Dialoge dieses Hörspiels sind in Tat und Wahrheit zwei unhörbare Monologe. Der Mann und die Frau sitzen nebeneinander, erkennen sich auch, aber sie geben sich nicht zu erkennen, kommunizieren nicht. Während sie schweigen, hört man aus den Einzelstimmen Betrachtungen zu zwei gelebten Leben der vergangenen drei Jahrzehnte. Und Vermutungen. Sie: «Was de Philipp ächt för Tröim het? Wahrschiinlech keni.»
Cecile und Philipp: Sie waren beide jung vor 26 Jahren, als sie zusammen in einem heissen Sommer für ein romantisches Wochenende nach London reisten, wo sich Entscheidendes abgespielt haben muss. Denn die beiden trennten sich sogleich, bereits in London («das mir de Philipp für immer kaputt gmacht het»). Ihr letztes Bild, das sie von ihm hat: «sys Ängelsgsicht, won ich am liebschte verchratzt hätt».
Zwei Welten – Seite an Seite
Heute sitzen die beiden zufällig für die Dauer von vielleicht eineinhalb Stunden Seite an Seite im Zug. Cecile hat es zur gestandenen Geschäftsfrau gebracht; sie ist erfolgreich, wenn auch privat nicht unbedingt glücklich. Philipp bemerkt, dass sie sich mit den Jahren äusserlich eindeutig positiv verändert hat («Jetz isch sie e richtig Schöni»). Im Gegensatz zu ihm, einem Mann mit Bauch, seit zehn Jahren geschieden, abgebrochenes Englischstudium, Verkäufer von Elektronikgeräten, mit seinem Schicksal hadernd («I süüfzga khoga viel»). Sie erkennt in ihren Lebensbetrachtungen unter anderem: «Eigentlich send d Manne, won ich träffe, ustuuschbar. E schrecklichi Idee.»
Am Ende trifft der Zug in Zürich ein. Werden die beiden doch noch miteinander gesprochen haben?
6 Uhr 41
Nach Jean-Philippe Blondel
Hörspielfassung und Regie: Margret Nonhoff
Mo, 16.10., 14.06 Radio SRF 1