Es war ein Jahrhundertprozess, das grösste und kostspieligste Verfahren gegen Neonazis in Deutschland. Sein Schauplatz: Saal 101 des Oberlandesgerichts München, an insgesamt 438 Prozesstagen zwischen Mai 2013 und Juli 2018.
Ton- und Bildaufnahmen waren aus gesetzlichen Gründen nicht gestattet. Es blieben Mitschriften, mehr als 6000 Seiten Prozessprotokolle von ARD-Berichterstattern. Auf dieses Material stützt sich das Hörspiel-Mammutprojekt. Es kommen zur Sprache: die biografischen Hintergründe der Täter, ihre Radikalisierung nach der Wende, das Leben der Terrorgruppe im Untergrund, die rechten Netzwerke, die Rolle des Verfassungsschutzes, Pannen bei der Polizeiarbeit, die Hoffnungen und Enttäuschungen der Opferangehörigen.
Die Verbrechen des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund): zehn Morde zwischen 2000 und 2007. Die Opfer: acht türkische Geschäftsleute, ein griechischer Geschäftsmann, eine deutsche Streifenpolizistin. Dazu kommen zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle. Zwei der Täter sind tot. Im Gerichtssaal zugegen ist das dritte NSU-Mitglied Beate Zschäpe.
Was sagen Zeugen, Ermittler, Gerichtsmediziner, Richter, Staatsanwalt, Angehörige? Wiedergegeben werden die minutiösen Beweisaufnahmen, wie sie nüchtern protokolliert wurden. Während des Prozesses stellen sich Fragen wie die nach den Motiven. Die Behörden folgten lange einer falschen Spur. Sie vermuteten organisierte Kriminalität statt Fremdenfeindlichkeit. Eine These wird formuliert: «Es sind zwei bis drei Personen, die aus ideologischen oder psychopathischen Gründen gehandelt haben könnten.»
«Ein Konzentrat» und zugleich «ein Mosaik»
Das Hörspiel vermittelt erschütternde und beklemmende Zeugnisse aus der wirklichen Welt. Es folgt nicht der Chronologie des Prozessverlaufs, sondern ist inhaltlich gegliedert, je eine halbe Stunde ist einem Themenkomplex gewidmet. Die von zwölf bekannten Schauspiel-Stimmen gesprochenen Texte ermöglichen ein plastisches Nacherleben der Geschehnisse im Gerichtssaal.
Es ist «ein Konzentrat» und zugleich «ein Mosaik», wie SWR-2-Hörspielchef Walter Filz erklärt; «der Versuch einer Sortierung» und «der Versuch einer Aufarbeitung mit den Mitteln des Hörspiels». Dabei verzichte es bewusst auf eine künstlerische oder künstliche Dramatisierung. Dass alles nun «nur» hörbar wird, verstärkt gerade die Wirkung. Man wird nicht abgelenkt durch TV-Bilder einer Gerichts-«Show». Das Radio mit dem Dokumentarhörspiel stellt die geeignetste und überzeugendste Art der Vermittlung dar.
«Saal 101», entstanden unter Federführung des Bayerischen Rundfunks, ist in den deutschen Kulturradios an zwei Abenden in zweimal sechs Stunden zu hören. Als Podcast kann das Hörspiel in 24 Folgen à 30 Minuten in den entsprechenden Mediatheken abgerufen werden.
Saal 101
Regie: Ulrich Lampen
Fr/Sa, 19.2./20.2., 20.03
BR/SWR 2/DLF
Podcast: 24 Folgen à 30 Minuten
Ab Fr, 19.2.: www.ardaudiothek.de/www.swr2.de