Im Irchelpark hoch über Zürich rieselt feiner Aprilschnee. Die Sonne aber scheint mit tropischer Hitze, wenn Hiromi Gut voller Leidenschaft von Kinshasa erzählt, wo sie gerade zur Projektbesprechung war. «Sinzo Aanza hat uns an die Kunst-Biennale Yango eingeladen», strahlt sie und erklärt, dass sich der kongolesische Künstler und Intendant anlässlich eines Besuchs in Zürich begeistert zeigte von den Aktivitäten des Vereins Guerillaclassics. «Natürlich werden wir am Festival in Kinshasa keinen Beethoven spielen, sondern uns kreativ austauschen mit unseren Gastgeberinnen und Gastgebern», betont Gut.
Konzerte in Hinterhöfen und vor Balkonen
Den Verein Guerillaclassics hat sie mit befreundeten Musikerinnen und Musikern im Sommer 2017 gegründet. «In der Badi Utoquai am Zürichsee, was wichtig ist, weil es uns darum geht, genau solch beseelte Orte zu bespielen.» Ziel des Kollektivs aus rund 200 Musikschaffenden ist es, Musik zu jenen Menschen zu tragen, die keine Konzertsäle besuchen. In Coronazeiten sind dies bekanntlich alle, und so spielten die Guerilleros seit letztem Frühling Konzerte in Hinterhöfen oder vor Balkonen. «Soulfood Delivery» hiess diese Aktion, die Guerillaclassics weitherum bekannt machte.
Doch die Idee greift tiefer. «Wir suchen Wege, um aus festgefahrenen Strukturen auszubrechen», sagt Gut und wird konkret. «Im Musikstudium lernt man, Noten zu lesen und zu interpretieren», sagt die Sopranistin, die in Lausanne Operngesang studierte. «Wichtiger als das Notenlesen aber ist das Hören. Deshalb stellen wir uns Fragen zur Kreation von Musik und zu deren Vermittlung.» So bespielt Guerillaclassics etwa auch Schaufenster, wie kürzlich in Bern und Basel. Oder beschallt – wie für diesen Sommer geplant – die Zürcher Altstadt anlässlich der Gerhard-Richter-Ausstellung mit 100 Pianos.
«Von mir aus kann es immer so weitergehen»
Hiromi Gut, die einen japanischen Vornamen trägt, weil sie in Tokio geboren ist, lebt seit Kindheit in Zürich und ist bei solchen Aktionen zuweilen als Sängerin dabei. Hauptsächlich aber wirkt sie als künstlerische Leiterin und wird dafür auch bezahlt. Dank Beiträgen von Stiftungen und der öffentlichen Hand, die sie gekonnt generiert. «Vor Lausanne habe ich in St. Gallen Wirtschaft studiert», erwähnt sie beiläufig. Diese Doppelfunktion als Managerin und Musikerin verleiht ihr eine ansteckende Kompetenz, mit der sie Guerillaclassics gar zu interkontinentaler Ausstrahlung verhalf. Auch ihre weitere berufliche Zukunft gehört dem Projekt. «Was soll ich andere Pläne machen? Von mir aus könnte es immer so weitergehen. Wir alle entwickeln uns und lernen stets dazu.» Der Schneefall hat im Verlauf des Gesprächs aufgehört, die Sonne brennt weiterhin.
Hiromi Guts Kulturtipps
Buch
Zakes Mda: The Zulus of New York (Penguin Random House South Africa 2020)
«Diese Geschichte über Zulus in New York zeigt, wie Kunst in welchem Kontext dargestellt und wahrgenommen wird.»
Video-Podcasts
Tiny Desk Concerts (www.npr.org/series/tiny-desk-concerts/)
«Mit diesen Videos schicken Musikerinnen und Musiker Hauskonzerte in die Welt hinaus. Sehr gefallen hat mir das Konzert der Sängerin Rokia Traoré aus Mali.»
Kurzfilm
Nelson Makengo: Théâtre Urbain
«Diesen jungen Filmemacher aus Kinshasa gilt es zu verfolgen. Sein Kurzfilm, der auf Youtube zu sehen ist, transportiert den urbanen Sound von Kinshasa.»
Weitere Informationen: www.guerillaclassics.org/newsletter/