Hexen haben einen beispiellosen Imagewandel hinter sich. In der Antike und im Mittelalter wurden Frauen, die über unliebsames Wissen – etwa zu Abtreibungen – verfügten, oft als Hexen bezeichnet. Im Europa der frühen Neuzeit erreichten die Verfolgung und Ermordung von Menschen, denen Hexerei nachgesagt wurde, ihren grausamen Höhepunkt. Erst im Zuge der feministischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts wurde die Hexenverfolgung kritisch aufgearbeitet und der Begriff positiv besetzt.
Dior setzt auf schwarzen Tüll und breite Hüte
Spätestens seit Joanne K. Rowling 1997 «Harry Potter und der Stein der Weisen» veröffentlichte, sind Hexen auch in der Populärkultur etabliert. Und sie bleiben bis heute beliebt: Die TV-Serien «Charmed» und «Sabrina – Total verhext» aus den 90ern wurden neu verfilmt. Wie ihre Vorgänger zeigen sie Hexen als erfolgreiche, sexy Frauen, die zwischen Erwachsenwerden und Zauberritualen jonglieren.
Und auch der männliche, silberhaarige «Witcher» in der gleichnamigen Serie lässt die Netflix-Kassen klingeln. Die Londoner Lamb Gallery beleuchtete die Hexe im Surrealismus, Dior setzt aktuell auf schwarzen Tüll und breite Hüte, und Popstar Dua Lipa und Rapperin Megan Thee Stallion inszenieren sich im Videoclip zu «Sweetest Pie» als twerkende Hexen, die Männer im Kessel kochen. Heuer wird das Hexenthema aber auch mit einer neuen Ernsthaftigkeit angegangen.
Kim de l’Horizon zelebrierte in der «Sternstunde Philosophie» auf SRF ein Hexenritual, und auf Social Media verdienen sich «Witchfluencerinnen» eine goldene Nase. Vom Hype profitieren auch die sogenannten Hexenschulen in Luzern, Kallnach (BE) und Brig (VS). Die Beschreibungen dazu sind nebulös und klingen nach einer Mischung aus Persönlichkeitscoaching, Spiritualität und Zauberei. Die Rede ist von Selbstentfaltung, Chakra-Arbeit, zeremonieller Magie, Baumlesung und mystischen Wesen.
Religionsersatz und Feminismus-Ikone
Das Hexenmuseum Schloss Liebegg in Gränichen (AG) gibt es seit 2009. Leiterin ist die Hexenexpertin und Autorin Wicca Meier Spring. Wicca bedeutet auf Altenglisch «Hexe». Im Gespräch sagt die 57-Jährige: «Neben anhaltend hohen Besucherzahlen bekommen wir sehr viele Anfragen von Studentinnen, die ihre Facharbeit rund um das Thema Hexen machen wollen.»
Dafür sieht sie zwei Gründe: Einerseits sei es nur natürlich, dass die Verbreitung in der Popkultur Interesse wecke und man herausfinden wolle, was dahintersteckt. «Dazu kommt der Bedeutungsverlust der Religion für die Identität. Vor allem spirituellen Frauen ist die kirchliche Auslegung des Christentums oft zu patriarchal.»
Auch das Schauspielhaus wirbt mit Hexen
Laut der französischen Autorin Mona Chollet sind die Ursachen aber auch in der kapitalistischen Nutzung von Wissenschaft zu suchen. Im Buch «Hexen – Die unbesiegte Macht der Frauen» schreibt sie: «Wenn ein Weltbild, das sich als in höchstem Masse rational definiert, auf die Zerstörung unseres Lebensraumes hinausläuft, stellt man die bisher geltenden Kategorien des Rationalen und Irrationalen in Frage.»
Chollet und andere Essayistinnen feiern die Hexe als feministische Ikone, weil sie für eine Weiblichkeit steht, die nicht darauf ausgerichtet ist, Männern zu gefallen. Vielmehr zeigt sich darin ein Frausein, in dem Platz ist für Komplexität, Diversität und Widersprüche. Auch das Zürcher Schauspielhaus springt auf den Trend auf. In der Talkreihe «Magic, Sex and Politics» darf jedes Mal eine andere «Hexe», mehrheitlich Kulturwissenschafterinnen und Künstlerinnen, auf das Stück des Abends einstimmen.
Dramaturgin Katinka Deecke erklärt: «In dieser Spielzeit verdichten sich auf unseren Bühnen Fragen nach weiblichem Wissen, Heilung von Körper und Trauma, Sorge um Einzelne, Gemeinschaft und Umwelt. Um das kenntlich zu machen, haben wir ‹Magic, Sex and Politics› ins Leben gerufen.» Den Auftakt machte die Künstlerin Tina Omayemi Reden. Sie gab im Zürcher Schiffbau eine Einführung zum Tanzstück «Tambourines» von Trajal Harrell.
Schamanische Rituale und Zaubersprüche suchte man bei ihr aber vergebens, das Thema Magie war sehr weit gefasst. Sie las einen Text über Formen der Mutterschaft und des gemeinsamen Kümmerns im patriarchalen System vor, während das Publikum auf Sitzkissen und Stühlen zuhörte. Im Hintergrund erklang leise Gitarrenmusik. Zwei Zuschauerinnen teilten persönliche Schicksale. Nach der Veranstaltung gabs Umarmungen und Eintopf im Foyer.
Als nächste «Hexe» spricht Hebamme und Künstlerin Pascale Schreibmüller, die auf Shakespeares Theaterstück «Der Sturm» einstimmt. Hier ist der Hexenbezug weniger weit hergeholt. In der Inszenierung der Theatergruppe Moved by the Motion tritt die Hexenkraft des Zauberers Prospero in Form einer künstlichen Intelligenz auf. Trotz der Modernisierung spielt das Stück mit der klassisch-dunklen Hexenästhetik.
Gefährlicher Social-Media-Trend
Die Hexen haben also nach dem Glauben, der Populärkultur und dem Internet auch die Hochkultur erobert. Wicca Meier Spring findet einzig den Social-Media-Trend problematisch. «Wenn 14-Jährige gesagt bekommen, wie sie ihren Freund oder Lehrer verhexen können, und sie an die Wirkung glauben, ist das gefährlich.» Es sei unwahrscheinlich, dass Jugendliche die nötige emotionale Reife für den Umgang damit hätten.
Gegen Unterhaltung im Namen der Hexe hat sie aber nichts. «Die Serie ‹The Witcher› habe ich mir auch angesehen. Nur schon, weil der Hauptdarsteller ein sehr Hübscher ist.»
Theater
«Magic, Sex and Politics» mit Pascale Schreibmüller vor der Aufführung «Der Sturm»
Do, 14.3., 18.30
Pfauen-Foyer Zürich
Serien
The Witcher
Netflix, 3 Staffeln
Chilling Adventures of Sabrina
Netflix, 4 Staffeln
Ausstellung
Hexenmuseum Schweiz
Schloss Liebegg
Gränichen AG
www.hexenmuseum.ch