Vorbei die Zeit, als Hélène Grimaud auf sich selbst gemünzt behauptete, dass Wölfe und ungezähmte Frauen bestens zusammenpassen, da beide denselben schlechten Ruf hätten? «Wasser» heisst jedenfalls das Thema ihres kürzlich in der Pariser Fondation Louis Vuitton präsentierten Albums. Trotz aller philosophischen Erhabenheit, mit denen man ein CD-Beiheft füllen kann – Schmuckes von Heraklit, Franz von Assisi und Leonardo da Vinci –, verkündet Grimaud auch eine humanitäre Botschaft: Es geht ihr ums Überleben von Menschen.
Nachdem sie bei der Fondation über die Auswahl des Programms, die von Luciano Berio über Maurice Ravel bis Claude Debussy reichenden Stücke, gesprochen hat, repetiert die 46-Jährige die harten Wasserfakten, als wäre sie Botschafterin des Hilfswerks Helvetas: «Alle 90 Sekunden stirbt ein Kind wegen des unsauberen Trinkwassers.» Oder: «125 Millionen Stunden wenden Frauen und Kinder in Asien jeden Tag auf, um Wasser zu holen.»
Es geht ums Ganze
Einst stand sie den Wölfen nah, und nun sind es die Menschen? Grimaud schüttelt den Kopf. Sie macht zwischen Wolf und Mensch keinen Unterschied, es geht ihr ums Ganze, um die Welt und ihre Ressourcen: «Die humanitäre Krise ist das dringlichste Problem unseres Jahrhunderts. Es geht doch nicht, dass die einen alles im Überfluss nutzen und die anderen nicht mal sauberes Trinkwasser und Toiletten haben.»
Griff zum Dinosaurier
Zurück zu Grimauds Musik: Konzertveranstalter, wagt etwas! Und seid gewarnt! Diese Musik kennt kein Dazwischen, entweder man schafft ihr die Stimmung und den Traumraum – etwa im KKL Luzern oder in der Fondation Gianadda in Martigny – oder aber man hört sie versunken zu Hause mit Kopfhörer. Diese Bemerkung gefällt Grimaud besonders, denn es war nicht von Anfang an klar, dass diese CD aufnahmetechnisch so famos herauskommen würde, waren doch neben ihr selbst zwei weitere exzentrische «Köche» am Werk.
Der eine war der schottische Videokünstler und Turner-Preisträger Douglas Gordon. Er baute Grimaud in New York im Winter 2014 eine gigantische Wasserinstallation für ein klassisches Wasser-Konzert. Durch die Inszenierung erhielt ihr Programm eine neue Dimension. Auch Menschen, die nicht aus Grimauds Mädchenmärchenwelt kommen, konnten verstehen, wenn sie danach von einer geradezu religiösen Stimmung sprach, die geherrscht habe.
Kurios: Da in der Halle alles viel zu düster war, konnte Gordon das Ereignis am Ende nicht filmen. Was blieb, waren die Tonaufnahmen. Anstatt in die nüchternen Studios zu gehen und dort zu versuchen, den idealen Moment wieder heraufzubeschwören, griff Grimaud beglückt auf diese Aufzeichnungen zurück – und holte den nächsten Dinosaurier hinzu: den Weltmusiker Nitin Sawhney. Er schuf sieben Kompositionen, die die acht ursprünglichen Wasser-Stücke verbinden sollten.
Wasser für Grimaud
Es entstand eine einzigartige CD, die zwar zur Masse schielt, von dieser aber rundheraus abgelehnt werden könnte. Denn das ist nicht Easy Listening, das ist grosse Musik, die volle Aufmerksamkeit verlangt. Clemens Trautmann, Präsident der Deutschen Grammophon, runzelt nach ihrem Konzert in Paris auf diese Bemerkung hin die Stirn. Doch kaum hat er mit seiner Entgegnung begonnen, muss er sein Glas abstellen: Das Millionen-Girl erleuchtet das Foyer. Rund eine Million Deutsche-Grammophon-CDs hat Grimaud verkauft. Champagner für alle! Und ein Glas Wasser für Grimaud. Durchaus Hahnenwasser, wie sie im Restaurant Mandarin betont. Wenn Mineralwasser, dann bitte aus der Glasflasche.
CD
Hélène Grimaud
Water
(Deutsche Grammophon 2016).
Konzerte
Victoria Hall Genève Mi, 6.4., 20.00
«Wassermusik»
Mit Werken von Berio, Takemitsu, Fauré, Ravel, Albéniz, Liszt, Janácek, Debussy und Brahms
Tonhalle Zürich
Mi/Do, 22.6./23.6.,19.30 & Fr, 24.6., 22.00 Anlässlich der Festspiele Zürich
Information und Karten: www.tonhalle-orchester.ch